Licht ins Dunkle
Höhlen sind dunkle Orte. Jenseits der eingangsnahen Dämmerungszonen ist das unterirdische Reich der Höhlen eine Welt der (fast) ewigen Dunkelheit. Erst im Schein der Helmlampe der Höhlenforscher offenbart sich die manchmal überwältigende Pracht. Soll diese mit der Kamera eingefangen werden, muss Licht in die Dunkelheit gebracht werden; sei es durch funkgesteuerte Blitzgeräte, manuell auslösbare Blitzbirnen oder die Stirnlampen der Expeditionskollegen. Den Effekt dieser künstlichen Lichtquellen und ihr Zusammenspiel zu antizipieren sowie diese entsprechend zu positionieren und zu steuern, gehört zum grundlegenden Handwerk eines Höhlenfotografen. Die Kunst besteht dabei darin, das endgültige Bild trotz künstlicher Beleuchtung natürlich aussehen zu lassen – ein Prozess, der einfach erscheint, aber in der Praxis bei jedem Motiv mit unzähligen Möglichkeiten, Einschränkungen und technischen Hindernissen aufwartet.
Doch Höhlen sind zeitlos und sie lassen genügend Zeit und Raum, um Kreativität entfalten zu können. Jahres- und Tageszeiten sowie Wetterlagen spielen nur eine untergeordnete Rolle und Menschen kommen einem selten in die Quere. Höhlenfotografie ist oft »Slow Photography« und das Gegenteil von der Jagd nach dem vergänglichen Augenblick. Mit Muße kann es einem Höhlenfotografen gelingen, die Ausstrahlung und Schönheit dieser ungewöhnlichen Orte festzuhalten, um dem Betrachter wenigstens ansatzweise das Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens zu vermitteln, das Höhlenforscher empfinden, wenn sie in besonders reich geschmückten Höhlen unterwegs sind. Die Lechuguilla Cave ist eine davon.
Lechuguilla Cave
Die Bilder, die Sie hier sehen, sind im Zuge der Erforschung dieser besonderen Höhle entstanden. Die Lechuguilla Cave hat sich im Kalkstein der Guadalupe Mountains New Mexicos entwickelt, ganz im Süden der USA. Sie gilt als eine der schönsten, vielfältigsten und faszinierendsten Höhlen der Welt – und sie ist eines der am weitesten verzweigten unterirdischen Labyrinthe: Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1986 wurden mehr als 240 Kilometer Gangpassagen erforscht – und ein Ende ist nicht in Sicht. Aufgrund der geologischen Begebenheiten und des ungewöhnlichen Entstehungsprozesses birgt die Höhle eine bemerkenswerte Vielfalt an seltenen Mineralien und Tropfsteinformationen, die dazu beigetragen hat, unser Verständnis hinsichtlich der Entstehung von Höhlen zu verändern. Aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung und Fragilität ist der Zugang zur Lechuguilla Cave strikt reglementiert: Pro Jahr sind nur wenige Expeditionen zugelassen, die von erfahrenen Speläologen (Höhlenforschern) durchgeführt werden.
Unterirdische Landschaften
Was die Lechuguilla Cave an Formen und Farben zu bieten hat, ist vielfältig – sehr vielfältig sogar. Höhlengänge variieren stark: Engstellen, die nur die Schlanksten unter den Höhlenforschern durchqueren können; Hallen, die so groß sind, dass sie Jumbo-Jets beherbergen könnten, oder tiefe Schächte, deren Grund außerhalb der Reichweite der Stirnlampen liegt. Die Höhlenwände changieren von schneeweiß bis schokoladenbraun, zeigen die innere Struktur eines fossilen Korallenriffs, sind von bizarren Rinnen durchzogen oder präsentieren glatt polierte Felsformationen, die an Fabelwesen erinnern. Und dann ist da natürlich das vielseitige Inventar an Tropfsteinen – darunter nicht nur die bekannten Stalagmiten und Stalaktiten, sondern Dutzende verschiedener Arten von sogenannten Speleothemen in allen Größenordnungen und Farben, die von den unterschiedlichsten Höhlenmineralien gebildet werden. So finden sich beispielsweise bis zu sechs Meter lange Gebilde aus wasserklaren Gipskristallen, die wie Kronleuchter von der Höhlendecke herabhängen; Ansammlungen fast faustgroßer Höhlenperlen aus Calcit in flachen Wasser-becken; filigrane Kristallbäumchen oder »Exzentriker« aus Aragonit, deren Wuchs der Schwerkraft trotzt, oder Büschel himmelblauer Kristalle aus Zölestin und Baryt. Derart geschmückt, offenbaren sich Räume von großer Pracht, die dem Besucher das Gefühl geben, sich eher in einer Traumwelt als in einem natürlichen Karstphänomen zu bewegen. Der Wunsch, all das mit der Kamera festzuhalten, versteht sich fast von selbst.
Von Anfang an diente die Fotografie auch der Dokumentation der Lechuguilla Cave (und anderer Höhlen). Seit ihrer Entdeckung vor knapp vier Jahrzehnten entwickelte sich jedoch die Art und Weise, wie Bilder aufgenommen werden; zusammen mit der Kameratechnik, die auch für viele andere Bereiche der Naturfotografie einen Wandel mit sich brachte.
Zunächst wurden ausschließlich analoge Kameras verwendet. Ohne die sofortige Möglichkeit zur Überprüfung, die moderne Digitalkameras bieten, war die Fotografie auf Film mit einem gewissen Maß an Unsicherheit verbunden, denn es konnte Tage oder Wochen dauern, bis zu sehen war, ob die gewählte Platzierung des Lichts, die Berechnung der Lichtintensität oder die Schärfeeinstellung gelungen waren. Mitunter wichtige Details, wie etwa die Frage, ob das Höhlenforscher-Model im richtigen Moment die Augen geöffnet hatte, konnten nicht sofort kontrolliert werden. Zudem unterlag der Film selbst technischen Beschränkungen: Ein hochauflösender Film war weniger lichtempfindlich, was bedeutete, dass eine stärkere Beleuchtung erforderlich war und entsprechend viele Blitzgeräte in die Höhle geschleppt werden mussten. Die zur Verfügung stehenden kompakten Elektronenblitze hatten außerdem oft eine recht begrenzte Lichtleistung und einen engen Lichtkegel, sodass sie eher einen Lichtfleck erzeugten anstatt einen ganzen Raum auszuleuchten. Um diese Einschränkungen zu überwinden, kamen (und kommen bisweilen nach wie vor) Einweg-Blitzbirnen zum Einsatz, die einen weiten Ausleuchtungswinkel und warmes Licht bieten. Das wiederum war mit längeren Verschlusszeiten verbunden und setzte den Einsatz von Stativen voraus. In einer so schwierigen und tagfernen Umgebung wie in der Lechuguilla Cave brachte der Einsatz einer solch umfangreichen Ausrüstung einen erheblichen Aufwand mit sich und erforderte mitunter gezielte Fotoexpeditionen.
Um die Jahrtausendwende veränderte die digitale Revolution der Kameras die Höhlenfotografie für immer: Der Film wurde durch einen digitalen Sensor ersetzt und das Bild auf Microchips gespeichert. Im Zuge der Verbesserung der Lichtempfindlichkeit, des Rauschpegels und der Bildauflösung der Sensoren wurde weniger Licht benötigt, um ein gutes Bild aufzunehmen, sodass die Fotoausrüstung kleiner und leichter wurde. Die modernen Sensoren haben zudem einen höheren Dynamikumfang und lösen dadurch frühere Qualitätsprobleme. Heute besteht die typische Lechuguilla-Fotoausrüstung aus einer spiegellosen Systemkamera mit nur einem Objektiv, zwei oder drei funkgesteuerten Blitzgeräten und einem Funkauslöser. Letzterer ermöglicht nicht nur die Blitzauslösung aus der Ferne, sondern auch eine effiziente Veränderung von Lichtintensität und Abstrahlwinkel, was das Einrichten einer Aufnahme wesentlich schneller und weniger komplex macht. Zusammen mit den (Reserve-) Akkus wiegt das Ganze weniger als zwei Kilogramm und passt in einen kleinen Kunststoffbehälter. Sperrige und schwere Stative werden nicht mehr benötigt, da moderne Kameras mit kurzen Verschlusszeiten mit den Blitzgeräten synchronisiert werden. All dies bietet zunehmend die Möglichkeit, Bilder relativ schnell auch zeitgleich zur Exploration zu machen, anstatt auf gesonderten Fotoexpeditionen.
Der größte Vorteil der Digitalfotografie ist die Möglichkeit, das Bild auf dem Display der Kamera zu begutachten. Auf diese Weise kann der Fotograf die korrekte Schärfe sicherstellen und Farbbalance, Belichtung, Blitzeinstellungen, Bildkomposition und ggf. die Pose des Forschers im Bild beurteilen. Kein endloses Fotografieren mit verschiedenen Einstellungen mehr, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die vorvisualisierte Lichtkomposition gelungen ist. Kein tagelanges Warten mehr auf die Entwicklung des Films. Kein Hadern mit dem Umstand, dass eine erneute Aufnahme des Motivs zu einem späteren Zeitpunkt eventuell nicht möglich sein wird. Die einzige Ungewissheit ist heutzutage nur noch die Integrität der Speicherkarte.
Weniger ist mehr
Die begrenzte Menge an Fotoausrüstung, die Erforscher der Lechuguilla Cave auf den für gewöhnlich einwöchigen Expeditionen mitnehmen können, und die knapp bemessenen Zeiten, die während der Exploration für das Fotografieren zur Verfügung stehen, haben zu einer speziellen Herangehensweise an die Höhlenfotografie geführt. Doch die genannten Einschränkungen bergen durchaus auch einen Vorteil: Je abgespeckter die Ausrüstung ist, desto weniger Möglichkeiten hat man, eine Szene zu gestalten, und umso mehr Kreativität ist gefragt, um dennoch eine effektive Lösung für die gewünschte Beleuchtung und Komposition zu finden. Zu viele Werkzeuge im Werkzeugkasten können zudem eine klare Vision erschweren.
Letztendlich kann keine Technologie allein ein atemberaubendes Bild hervorbringen. Es bleibt dem Instinkt und der kreativen Vorstellungskraft des Fotografen vorbehalten, das richtige Maß an Licht und Dunkelheit auszubalancieren und ein Gefühl für die Dimension der Räume zu vermitteln. Gelingt dies, kann die Zerbrechlichkeit eines Kristallbäumchens, das Glitzern eines Gipskronleuchters oder die Bewegung eines fallenden Wassertropfens lebendig dargestellt werden. Das ist die wahre Herausforderung der Höhlenfotografie, die dem Fotografen, wenn sie gemeistert wird, ein zufriedenes Lächeln schenkt und den assistierenden Teamkollegen ein »Wow!« entlockt, wenn er diesen einen ersten Blick auf das Display der Kamera gewährt.
Im Dienste des Höhlenschutzes
Dank der Höhlenfotografie kann die Schönheit der Lechuguilla Cave und vieler anderer Höhlen von Menschen auf der ganzen Welt bewundert werden, nicht nur von Höhlenforschern. Nicht selten sind es ebensolche Bilder, die andere inspirieren, selbst Höhlenforscher zu werden, um die Wunder des Untergrunds aus erster Hand zu erleben und zu studieren. Ehrfurcht vor den unterirdischen Schönheiten unseres Planeten zu erzeugen, ist eine wichtige Motivation, aber auch eine große Verantwortung für Höhlenfotografen. Im Falle der Lechuguilla Cave hat dies zum rigorosen Schutz der Höhle beigetragen.