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Nicht federleicht

Der steinige Weg eines Fotoprojekts

Federn bestimmen das Aussehen von Vögeln. Sie sind mal grau, mal bunt, schützen ihre Träger vor Kälte und Hitze, sind protziger Schmuck oder Tarnkleid. Aus der Nähe betrachtet, erscheinen sie uns oft wie filigrane Kunstwerke und gleichzeitig sind sie es, die es vielen Vögeln erlauben, das zu tun, worum wir sie am meisten beneiden: zu fliegen. Heidi und Hans-Jürgen Koch haben sich für ihr jüngs­tes Buchprojekt diesen wundersamen Gebilden mit der Kamera genähert und ihre Bilder lassen staunen.

Gedämpfte Euphorie

Eigentlich waren uns Federn als Fotoprojekt gründlich vergangen. Das kam so: Wir saßen in der Redaktion einer großen Zeitschrift und schlugen dieses Thema vor. Wir wollten Federn als sinnliches Erlebnis zelebrieren. Leider konnten die anwesenden Redakteure unsere Begeisterung nicht teilen. Die Geschichte sei doch etwas zu »still« und nicht wirklich passend für dieses Magazin.Unsere Idee war leider nicht bis zum neuen Chefredakteur durchgedrungen. Dann sah eben dieser Chefredakteur in einem amerikanischen Magazin eine Fotostrecke über Federn und entschied, dass so etwas genau das Richtige für sein Blatt wäre, kaufte die Geschichte und druckte sie. Dumm gelaufen. Für uns. Trotz gutem Riecher.

Erfreuliche Wendung

Die Motivation, Federn zu fotografieren, war also deutlich abgekühlt. Wie es das Schicksal wollte, kontaktierte uns ein Mitarbeiter des Museums für Naturkunde in Berlin, mit dem wir schon zusammengearbeitet hatten, und wollte uns ausgerechnet für Federn begeistern. Er und sein Kollege waren »federbesessen« und hatten umfangreiche Sammlungen. Eigentlich war die Lust weg, aber da lag noch dieses Corona in der Luft, was die Entscheidung leichter machte. Wir brauchten ein Thema, das wir ohne große Reisetätigkeit fotografieren konnten. Jetzt hatten wir es.

Wir erhielten auch die Gelegenheit, etliche Motive im Corona-Lockdown befindlichen Museum selbst zu fotografieren. Natürlich mit den obligatorischen Vorsichtsmaßnahmen wie Testungen und FFP2-Masken und ausgiebigem Desinfizieren. Die dort entstandenen Motive stammten von Objekten, die das Haus nicht verlassen sollten, zum Beispiel der rare Balg eines Kaiserpinguins.

Heimarbeit

Die meisten Fotografien entstanden allerdings bei uns zu Hause. Wir erhielten eine exklusive Kollektion unterschiedlichster Federtypen von allen möglichen Vogelarten aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt. Die Auswahl der Exponate erfolgte zunächst nach ihren optischen Qualitäten. Wenn sie irgendwelche Besonderheiten hatten oder selten waren, umso besser. Unsere Wunschliste war lang. Es gab auch ein paar »Must-haves«, zum Beispiel die sensationell exotischen Schwanzfedern des Königsparadiesvogels.

Zwar hatten wir ausgiebig recherchiert, aber letztlich war das nur Halbwissen. Gott sei Dank standen uns Feder-Profis zur Seite, die geeignete Exemplare aus ihrer Sammlung pflücken konnten. Auch solche, von denen wir keine Ahnung hatten, dass es sie überhaupt gab.

Mit den Federn erhielten wir exakte Anweisungen: keine direkte Sonneneinstrahlung. Aber auch keine absolute Dunkelheit, denn das würde Motten anlocken. Ein großes Insektenfressen wäre der Super-GAU für das Projekt. Vorsichtig waschen dürften wir die Federn schon, um sie von Staub zu befreien, aber danach unbedingt föhnen, kalt natürlich.

Da standen sie jetzt im Studio. Akkurat aufgespießt auf Styroporplatten, etikettiert, nummeriert. #39 beispielsweise war die Handschwinge einer Dreizehenmöwe. Es gab keinen Zeitdruck, wir konnten in Ruhe mit Licht, Objektiven und Perspektiven experimentiert, um die Essenz der jeweiligen Federn auf den Kamerasensor zu belichten.

Größtmögliche Nähe

Unser durchgängiger visueller Ansatz war die Nähe. Bei den meisten Motiven befinden wir uns im Nah-, Makro- und Mikrobereich. Für die Fotografie-Arbeit bedeutet dies, dass bei solchen Abbildungsmaßstäben die Schärfentiefe gering bis furchtbar klein ist. Wir wollten aber Brillanz und viele Details zeigen. Die Lösung für solche Fälle ist Fokus Stacking. Hier werden von einem Motiv mehrere bis viele Fotos mit unterschiedlichen Fokusebenen gemacht und anschließend mittels einer speziellen Software zu einem Bild mit großer Schärfentiefe zusammengesetzt.

Mühsames Focus Stacking

Prozessorgesteuert bewegte sich der Kameraschlitten automatisiert in präzisen, kleinsten Schritten vorwärts, das verlässliche Klicken des Verschlusses, das Entladen der Blitze wirkte regelrecht befriedigend. Als wir das Ergebnis auf dem Monitor sahen, waren wir oft wieder geerdet. Manche Bilder waren schlicht schlecht. Unsere Schuld. Zuweilen war die Stacking-Software kläglich überfordert. Digitale Artefakte, Unschärfen, wo keinesfalls welche sein durften. Also: Reset – und wieder von vorne beginnen. Das Ritual wiederholte sich. Auch morgen würde wieder ein Federntag sein. Es sollten viele morgen werden. Allein das Fotografieren der Federn zog sich über zwei Jahre hin, von 2020 bis 2022. Wir haben rund 19.000 Bilder belichtet. Wie lange sich die Qual der Nachbearbeitung hingezogen hat, haben wir verdrängt.

Während der Beschäftigung mit den Federn entwickelte sich unsere mentale Auseinandersetzung mit Natur und Technik allmählich zu einer Art Meditation, die wir tatsächlich genossen. Aber ganz ehrlich: Manchmal war wirklich Schluss mit meditieren. Schon Charles Darwin klagte: »Beim Anblick einer Feder im Schwanz eines Pfaus wird mir übel, wann immer ich sie ansehe.« Oh, wie gut konnten wir den Mann verstehen.

Das Buch

Da das entstandene Bildmaterial so reichhaltig war, sollte es auch ein Buch füllen können. Die Akquise dauerte nicht lange. Schon der erste Verlag erhielt den Zuschlag. Doch dann kam uns der vorgesehene Textautor abhanden. Was zunächst ein regelrechter Schock war, erwies sich im Nachhinein als glücklicher Umstand, denn jetzt konnten wir selbst die Inhalte so gestalten, wie wir es für richtig hielten. Aber auch das dauerte eine ganze Weile.

Federn sind eine multifunktionale Erfindung der Evolution. Sie schützen vor mechanischen Verletzungen, sind eine Barriere gegen Sonnenstrahlen, Staub und Dreck, sie lassen den Regen abperlen und verhindern das Erfrieren im eisigen Wind. Durch seine Federn verschmilzt der Vogel getarnt mit der Umgebung oder er nutzt sie raffiniert zur visuellen Kommunikation mit Seinesgleichen. Außerdem ermöglichen Federn den tollkühnen Ritt durch die Lüfte.

Neidfaktor

Schon immer schauten Menschen zum Himmel hinauf und sahen dort voller Neid die schönen eleganten Flieger, während er, die Krone der Schöpfung, wie von einem Magneten angezogen, am Boden klebte. Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder selbstlose Versuche, aus eigener Muskelkraft abzuheben, angeschnallt an eine abenteuerliche Flatter-Vorrichtung. All diese tragikomischen Hopser und Sprünge von Brücken, Hügeln und Türmen endeten konsequent in unglücklichen Abstürzen in Folge menschlicher Hybris. Die Draufgänger übersahen ein banales Detail: Vögel fliegen, weil sie es können!

Evolutionärer Funktionswandel

Die meisten Menschen assoziieren Federn mit Vögeln und dem Fliegen. Diese Vorstellung ist falsch, aber verständlich, denn sie kennen es ja nicht anders, sie sehen Federn schließlich nur an Vögeln. Doch spektakuläre Ausgrabungen in China zeigen, dass bereits Dinosaurier Federn trugen. Die hatten allerdings mit dem Fliegen zunächst nichts zu tun. Sie wärmten, waren aber auch eine ästhetische Neuerung der Evolution: zum Prahlen, Protzen und Flirten, also zum Ködern eines Sex-Partners!

Die Funktion der Federn, die Schwerkraft zu besiegen, entwickelte sich tatsächlich erst am Schluss ihrer Entstehungsgeschichte. Und das Fliegen mit Federn erlernten zuerst die Dinosaurier, bevor es Vögel überhaupt gab. So extravagant in ihren Farben, Formen, Strukturen und Funktionen, offenbaren uns Federn das Wesen der Evolution. Sie ist offensichtlich keine, ausschließlich auf Effizienz ausgerichtete Maschinerie, welche die am besten angepassten Lebewesen auswählt und die anderen ausmerzt. Sie spielt mit den Möglichkeiten, sie ist launenhaft und irrlichtert in ihren Prozessen. Ausprobieren kann sie alles. Auch die Pracht ist in ihrem Repertoire. Für uns sind Federn ihr poetisches Meisterstück.

Heidi und Hans-Jürgen Kochft für Naturfotografie