Heimatliches Naturerbe


Ein Projekt als Spurensuche im Landkreis Vechta

von: Willi Rolfes
Während uns in unzähligen Fernsehsendungen und Zeitschriftenbeiträgen die Natur exotischer Orte nahe gebracht wird, nimmt das Wissen um und das Verständnis für heimische Natur hierzulande in erschreckendem Maße ab. Naturfotografen haben die Mittel, dem entgegenzuwirken. Sie können Menschen in ihrem nahen und weiteren Umfeld zeigen, wie reich das Naturerbe unserer Heimat ist. Wie das gehen kann, zeigt Willi Rolfes in diesem Beitrag. Zusammen mit dem Journalisten Andreas Kathe wirbt er in seinem Projekt auf unterschied­lichen Kanälen für die heimische Natur.

Die Idee

Dem kanadischen Porträtfotograf Yousuf Karsh wird das Wort zugesprochen: „Fotografieren heißt Bedeutung schenken“. Die Naturfotografie ist eine Fokussierung auf einen bestimmten Teil der Schöpfung. Die Ausdruckskraft einer gelungenen Naturfotografie kündet von der Würde, dem Geheimnis und der Hilfsbedürftigkeit der Natur. Darin liegt ihre Kraft. Auch will sie aufdecken und anklagen, wenn es erforderlich ist.

Mit diesen kurzen Zeilen ist schon beschrieben, worum es dem Journalisten Andreas Kathe und mir mit dem Projekt „Unser Naturerbe – Spurensuche im Landkreis Vechta“ geht. Wir wollen mit eindrucksvollen Bildern, Schilderungen und Argumenten den Bewohnern und den politisch Verantwortlichen unserer Heimat einen Spiegel vorhalten und einen Diskussionsprozess über die Schutzwürdigkeit der Landschaft mit ihrer Flora und Fauna anstoßen.

Die Absicht

Der Landkreis Vechta ist eine ursprünglich landwirtschaftlich geprägte Region. Hier hat das Erben Tradition. Darum haben wir  den Titel des Projektes „Unser Naturerbe“ bewusst gewählt. Dazu ein kleiner Exkurs: Das Erbrecht in Deutschland sieht grundsätzlich vor, dass der Nachlass zur Gänze auf den oder die Erben übergeht. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sehen einige gesetzliche Vorschriften allerdings für den Bereich der Vererbung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben vor. Hier besteht ein Interesse an der Übergabe ausreichend großer und damit überlebensfähiger Hofstellen als geschlossene Einheit. Die Bildung von Erbengemeinschaften und die damit verbundene Zersplitterung von Hofstellen soll vermieden werden.

Diese Erfahrung ist auch maßgeblich für unser Naturerbe, denn es besteht immer als Ganzes. Anders als im Erbrecht kann man das Naturerbe nicht ablehnen. Es ist eine Realität, mit der künftige Generationen konfrontiert werden. Die Folgen für die Zukunft sind in der heutigen Lebens- und Wirtschaftsweise begründet.

Im Zuge des Projektes haben wir viele Vorträge gehalten. Zu Beginn jedes Vortags fragten wir die Zuhörer, ob man nach ihrer Meinung ein Erbe allein verbrauchen darf. Es ergab sich immer dasselbe Bild: Obwohl es einem faktisch zustehe, gehöre es sich nicht, alles für sich zu beanspruchen. Man wolle von dem, was einem unverdient zugefallen ist, den Nachfahren etwas überlassen. Bei dieser Erfahrung und Einstellung setzt unser Projekt an.

Wir möchten den vielen Einheimischen die ihnen oft unbekannten Naturräume auf faszinierende Weise nahe bringen. „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht“, philosophierte Goethe 1819. Und mit Thomas von Aquin kann man hinzufügen: „Man kann nur lieben, was man kennt“. Wahrlich alte Einsichten, die aber nichts an Aktualität eingebüßt haben. Unser Naturerbe kennen- und hoffentlich auch lieben lernen, das ist unsere Absicht.

Der Landkreis Vechta

Und wie sieht nun der Landkreis Vechta aus? Charakteristische Merkmale der Landschaft sind Bachauen, Laubwälder, Feldgehölze, Moore, Schlatts, Feuchtwiesen, Höhenzüge, Flussniederungen … die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Typisch für das Gebiet des Landkreises ist eine landschaftliche Vielfalt, die sich in dieser Ausprägung wohl nur in wenigen räumlich so eng begrenzten deutschen Kreisgebieten finden lässt. In unserem Projekt geben wir ihrer Schönheit, ihrer Veränderlichkeit, ihrer Schutzwürdigkeit und zugleich ihren Gefährdungen ein Gesicht. Heimat Landkreis Vechta. Das ist kein in sich geschlossener Naturraum, kann es gar nicht sein. Denn die Grenzen dieser Region sind willkürlich gezogen, im Laufe von Jahrhunderten entstanden. Und so durchschneiden diese Grenzen manche zusammenhängenden Naturlandschaften; man denke nur an die Moore, die sich im Westen und Süden ausbreiten. Sie finden ihre Fortsetzung in den Nachbarkreisen Diepholz und Osnabrück. Und die Dammer Berge sind Teil eines großen Endmoränenbogens, der seine Entsprechungen in der Ankumer oder Lingener Höhe findet. 

Der Landkreis erstreckt sich auf einer Fläche von rund 20 Kilometern Breite und 60 Kilometern Länge mitten im Großstadtdreieck Bremen/Oldenburg/Osnabrück. 812 Quadratkilometer sind es, die mal sehr tief liegen und dann wieder hinaufschießen auf – für norddeutsche Flachlandlandverhältnisse – beachtliche 146 Meter (Signalberg in den Dammer Bergen). 135.000 Menschen leben hier, mit steigender Tendenz. Das wird zu einer Herausforderung für die Landschaft. Zwei Drittel der Gesamtfläche wird landwirtschaftlich genutzt – rund 55.000 Hektar. Daneben gibt es auf fast 11.000 Hektar Waldungen. Siedlungen, Straßen, Industrieflächen schlagen mit fast 14.000 Hektar zu Buche, auch hier mit steigender Tendenz. Es bleibt ein Rest an Freiflächen und Erholungsräumen und Wasserflächen (gut 2.100 Hektar). Ein Teil dieser Flächen ist in den vergangenen Jahrzehnten unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellt worden, um in sich geschlossene und intakte Naturräume zu erhalten. Einige Beispiele: Der Norden des Kreises gehört in weiten Bereichen zum Naturpark Wildeshauser Geest, der insgesamt etwa 1.500 Quadratkilometer umfasst. Im Süden zählen große Flächen zum Naturpark Dümmer mit seinen 472 Quadratkilometern; dazu gehört auch das Erholungsgebiet Dammer Berge. 

Highlights für Naturfotografen

Aus naturfotografischer Sicht gibt es mehrere Highlights. Da ist im Nordosten des Landkreises zunächst das Goldenstedter Moor. Hier finden sich auf engem Raum unterschiedliche Formen der Moorentwicklung. Es gibt eine reiche Flora und Fauna, insbesondere in den Übergangszonen. Das Blaukehlchen ist hier ebenso zu Hause wie der Schwarzhalstaucher oder abertausende Libellen. Auch der Wolf hat das Moor für sich entdeckt. Besonders im Frühling, wenn das Wollgras fruchtet und im Herbst wenn Nebel, bunte Farben und die Kraniche die Szenerie bestimmen, lässt das Goldenstedter Moor seine ganze Magie erahnen. 

Im Süden wird der Dümmer von einem vielfältigen Mosaik von Feuchtwiesen umgeben. Diese Wiesenlandschaften sind von besonderer Bedeutung für den Vogelzug im Frühling und Herbst und beherbergen ein artenreiches Spektrum an Wiesenvögeln. Vor allem im April, wenn die Uferschnepfen um die besten Brutplätze kämpfen, die Bekassinen am Himmel ihre Bahnen ziehen oder die Kampfläufer auf ihrem Weg in den Norden Rast machen, kann man den Pulsschlag der erwachenden Natur in den Osterfeiner Wiesen spüren. 

Ganz anders stellen sich die Dammer Berge dar. Sie sind Teil einer eiszeitlichen Endmoränenstaffel aus dem frühen Vergletscherungsgeschehen der Saaleeiszeit. Heute sind die bewaldet und ein Kleinod für Freunde von Orchideen und Hirschkäfern. Rund um den sogenannten Bergsee findet sich eine sehr vielfältige Flora und auf dem See sind immer Gänse zu beobachten.

Die Umsetzung

Aufgangspunkt für unser Vorhaben ist die Erfahrung, dass die Naturfotografie im Prozess der Bewusstseinsbildung eine besondere Bedeutung hat. Sie dokumentiert, ruft auf, erklärt und fasziniert. Mit Bildern ist es möglich, ohne wortreiche Ausführungen Brücken ins Bewusstsein der Menschen zu bauen und dieses nachhaltig zu prägen. Bilder sind mächtige Botschaften, da sie schnell aufgenommen werden können und komplexe Sachverhalte in einem Moment verdichten. Verantwortungsvolle Naturfotografie nutzt die Flora und Fauna nicht nur als Objekt. Sie beabsichtigt mehr: Sie möchte im Dienst des Naturschutzes den Betrachter sensibilisieren, auf Probleme aufmerksam machen oder die Schönheit und Verletzlichkeit der Natur vor Augen führen. So trägt sie zur Bewusstseinsbildung bei. 

Um das leisten zu können, braucht man Verbündete und ein vielschichtiges Vorgehen. Unser Projekt hat daher mehrere Komponenten. Zunächst gibt es einen Bildband und einen Kalender. Als ausgesprochen wichtig erwies sich eine Absprache mit der lokalen Tageszeitung. Über mehrere Monate wurde immer mittwochs auf der Kreisseite ein halbseitiges Foto gedruckt und jeweils ein Aspekt unseres Naturerbes erklärt und beleuchtet. Durch die Stetigkeit wurde eine Debatte in der Bevölkerung entfacht, die sich wiederum in der Berichterstattung widerspiegelt. Durch die gezielte Ansprache von Vereinen konnten diese als Partnern für Vortragsveranstaltungen gewonnen werden. In jedem Ort des Landkreises haben wir dann sehr gut besuchte Veranstaltungen durchgeführt. Mehrere Schulen haben das Thema aufgegriffen und gezielt auf ihren Lehrplan gesetzt und so Voraussetzungen geschaffen, das Bewusstsein der nachwachsenden Generation zu schärfen. Das Touristikmarketing hat neue Produkte entwickelt, um die Natur zu erkunden. Es wurde eine Journalistenreise organisiert, die bundesweit auf sehr gute Resonanz stieß. Auf diese Weise gab es zahlreiche Publikationen in Printmedien. Besonders hat uns gefreut, dass – nicht zuletzt angestoßen durch das Projekt – der Landrat angekündigt hat, den Landschaftsrahmenplan des Landkreises zu überarbeiten und somit eine neue Bewertung und Akzentuierung der Naturräume erfolgt. Das Projekt ist noch nicht zu Ende. So ist zum Beispiel noch eine Wanderausstellung in Planung.

Ausblick

Dieser Überblick über das Vorgehen soll aufzeigen, wie das Projekt realisiert wurde. Der Aufwand dafür ist von zwei berufstätigen Personen leistbar. Diese Hinweise sind uns wichtig, da wir es für eine sehr charmante Idee halten, wenn derartige Projekte an möglichst vielen Orten stattfänden. Jede Naturfotografin und jeder Naturfotograf kann für einen noch so kleinen Teil der Natur Verantwortung übernehmen.

Für uns wäre es ein schönes Geschenk, wenn es gelänge, mit dem fotografischen Porträt des Naturerbes im Landkreis Vechta einen Beitrag zur Bewahrung dieses einzigartigen Naturraums zu leisten, den Blick für die Vielfalt und Schutzbedürftigkeit unseres Naturerbes zu öffnen und auf diese Weise das Gesicht einer Landschaft im Bewusstsein der Menschen neu zu prägen. Und wenn das Projekt andere inspirieren sollte, sich mit ihrem Naturerbe auseinanderzusetzen, dann stellen wir unsere Erfahrungen gerne auch persönlich zur Verfügung.

Willi Rolfes

… lebt  in Vechta, am Rande des Moores. Sein besonderes Interesse gilt norddeutschen Landschaften und der Wildtierfotografie. Es ist ihm wichtig, eine Beziehung zu einer Landschaft oder Tierart zu entwickeln. Darum setzt er sich oft lange mit einem Thema auseinander. Facettenreiche Portfolios sind ihm wichtiger als wettbewerbstaugliche Einzelbilder. Neben der reinen Naturfotografie ist er bemüht, „Sinn-Bilder“ zu fotografieren. Es ist ihm ein Anliegen, mit seinen Arbeiten einen aufklärenden und Verständnis weckenden Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung zu leisten. www.willirolfes.de