Innehalten, sich dem Wesen der Landschaft öffnen, ihr sozusagen ins Herz blicken – was sich uns dann offenbart, zeigen und verdichten die Doppelbelichtungen unserer Serie HIER. Als Naturfotografen sind wir viel draußen unterwegs. Wo auch immer wir gerade sind, es gibt überall Landmarken, die unsere Langzeitserie HIER - Himmel und Erde erweitern könnten. Darunter Berge, Solitärbäume, Sträucher, Mauern, Holzstapel oder Gebäude. Das Besondere an diesen Bildern: Sie entstehen durch Doppelbelichtung und Drehung der Kamera.
Faszination für Abläufe in der Natur ist wohl die Basis aller naturfotografischen Projekte. Dabei interessieren uns alle Spielarten. Kontrastreiche Kulturlandschaften – ob urban oder urwüchsig – üben großen Reiz auf uns aus. Aber auch eher karge Weiten ziehen uns an, die den wandernden oder wartenden Betrachter auf sich selbst zurückwerfen. Diesen Sog, den Natur auf uns ausübt, auf ungewohnte Weise einzufangen und zu präsentieren ist Ziel der Serie HIER.
Am Anfang des Projekts stand neben der immerwährenden Herausforderung neue Perspektiven für vermeintlich unspektakuläre Motive zu finden, auch die Experimentierfreude mit unserer damals neuesten Kamera (Canon 70D). Es war unsere erste digitale Kamera, die Mehrfachbelichtungen im Programm hatte. Vorher hatten wir Doppelbelichtungen und Montagen mit Photoshop erstellt.
Das allerdings ist ein anderes Vorgehen – wir wählten aus dem Archiv Bilder aus, von denen wir uns reizvolle Überblendungen erhofften. Meist nutzen wir zwei bis drei Bilder und füllten die übereinanderliegenden Ebenen nicht unbedingt mit dem jeweils ganzen Bild. Die Möglichkeiten, die Photoshop für die Bearbeitung eröffnet, sind schier unüberblickbar. Zig Regler und Filter stehen zur Verfügung, mit denen Farbe, Kontrast, Struktur, Schärfe oder was auch immer verändert werden können. Natürlich könnte man auch die »In-Camera-Mehrfachbelichtungen« noch nachträglich umfangreich in Photoshop bearbeiten, aber das ist dann eine andere Arbeitsweise. Schon während der Aufnahme entscheidet man, wie sich die zusammengestellten Motive überlagern sollen. Und der Clou: man kann sich im Live-View-Modus anschauen, wie es hinterher aussieht.
Vorgehensweise
Für die Serie HIER belichten wir immer zwei, direkt aufeinander folgende Aufnahmen. Dafür entsteht zunächst ein Einzelfoto, um die optimale Belichtung zu testen – und um ein Back-up-Foto vom Ausgangsmotiv zu haben, falls die Doppelbelichtung nicht gelingt.
Stimmt alles, geht es weiter im Mehrfachbelichtungsmodus: Wir wählen das erste Bild, wechseln in die Live-View-Ansicht, drehen die Kamera um 180 Grad. Dann justieren wir von Hand so lange, bis genau die Spiegelachse getroffen ist, die uns vorschwebt.
Ein Auge in der Landschaft
Das erste Foto dieser Art entstand 2015 in den Dünen Nordhollands. Während einer Wanderung passierten wir einen Holzpolter am Wegrand. Spontan hatten wir die Assoziation »Auge«. Die These: Ein Auge müsste sich ergeben, wenn auf die eben beschriebene Weise eine Doppelbelichtung gemacht würde. Und genauso war es.
Was uns jedoch am meisten entzückte, war die Dominanz des Himmels – der Weg wurde so überblendet, dass er kaum noch zu sehen war. Das Holzpolterauge schien im Himmel zu schweben. Dieses Bild war der Auslöser, ist die Matrix für die Serie.
Attraktive Motive finden sich seitdem überall: Ob bei unseren Alltagstouren direkt vor der Haustür im Frankfurter Grüngürtel oder bei ein- bis mehrtägigen Exkursionen inner- oder außerhalb Deutschlands. Dann natürlich mit mehr Planung und Gepäck, etwa in den Pfälzer Weinbergen zur Wildtulpenblüte, an der Donau oder in den Dünen Nordhollands. Unterwegs sind wir am liebsten mit dem Fahrrad. Bei jedem Rad ist dann eine der bis zu vier Packtaschen für Fotoausrüstung reserviert.
Die Doppelbelichtung entsteht draußen, die Nachbearbeitung später am Bildschirm – und überwiegend mit Adobe Lightroom. Nötig ist meist, den Kontrast herauszuarbeiten oder den leichten »Dunst« zu entfernen, den die Überlagerung der Bilder mit sich bringt. Nur wenige Fotos sind darüber hinaus mit Photoshop bearbeitet.
Anfangs entstanden überwiegend »Augen«, gewonnen aus Landmarken in überwiegend urwüchsiger Landschaft. Später sind in typischen Kulturlandschaften und an Stellen, wo »Mensch und Natur« sich treffen, weitere Elemente hinzugekommen. Eine Staudamm-Mauer etwa, Gebäude in Wolken oder ein Gedenkstein. Diese Weiterentwicklung spiegelt unsere Auseinandersetzung mit den zahlreichen Habitatsvarianten der Natur sowie mit der Vielfalt der menschlichen Nutzungsweise wieder – im Guten wie im Schlechten.
Eine Darstellung unberührter Natur ist nicht unsere Absicht – vielmehr geht es uns darum, in unseren Bildern um die Kraft, die Pflanzen, Tiere (und Menschen) in jedem Winkel entfalten können, um zu überleben. Das Ergebnis kann ein beglückendes Stück Wildnis in der Stadt sein oder atemberaubende Kulturspuren weit draußen auf dem Land.