Vergessener Dschungel


Die Sumpfzypressenwälder im Südosten der USA

von: Georg Popp
Ein ungeheurer Tierreichtum, leuchtend bunte Herbstfarben und das alles in einer mystischen, oft von Nebeln durchwabernden Sumpflandschaft. Die Sumpfzypressenwälder im Südosten der USA sind eigentlich ein Traumland für Naturfotografen. Eigentlich deshalb, weil die traumhaften Motive, abgesehen von wenigen Stellen ziemlich schwer, und wenn dann nur per Boot erreichbar sind. Georg Popp ficht das nicht an. Der Österreicher ist geradezu besessen von diesen Wäldern und entdeckt auch nach zehn Jahren immer wieder Neues.

Auch wenn in den »Lower 48«, den unteren (südlichen) Bundesstaaten der USA, kaum eine Landschaft Gefahr läuft, »vergessen« zu werden – jedenfalls nicht von Naturfotografen im 21. Jahrhundert –, so ist der Titel dieser Story dennoch nicht ganz falsch. Besser wäre freilich »der gemiedene Dschungel«, aber das klingt nicht annähernd so mystisch, wie es doch die Zypressensümpfe des »Tiefen Südens« nun einmal sind.

Landschaftsfotografen-Wunderland

Es sind Landschaften, in denen sich beinahe alles wiederfindet, was uns Naturfotografen als anziehend erscheint. Allein der Wald mit seinen Jahrtausende alten, mächtigen und knorrigen Bäumen würde Landschaftsfotografen anlocken wie der Speck die Mäuse. Besonders die riesigen Luftwurzeln (von den Einheimischen »Knie« genannt), die so bizarr geformt sind und mitunter hoch aus dem Wasser ragen, machen Zypressenwälder so einzigartig. Um die märchenhafte Szenerie noch weiter zu optimieren, hängen Bromelien, »Spanish Moss« genannt, wie lange blonde Haarsträhnen von den Ästen und verwandeln selbst gewöhnliche Bäume in magische Skulpturen. Nun steht der ganze Wald auch noch im Wasser, dem Lieblingselement der Naturfotografen schlechthin. Alle Motive spiegeln sich gleich noch einmal im stillen Wasser!

Tierische Vielfalt

Und es kommt noch besser: In den Zypressensümpfen wimmelt es von Tieren in allen Größen und Formen. Abermillionen Frösche und andere Amphibien, eine immens artenreiche Vogelwelt, vom Weißkopfseeadler bis zum Pelikan, Ibisse, Eulen, Enten, Kormorane, diverse Specht- und Reiherarten oder Eisvögel, um nur ein paar wenige zu nennen, die man fest einplanen kann. Waschbären, Fischotter, Biber, Nutrias und Gürteltiere sehe ich auf jeder Fotoreise. Natürlich auch Reptilien. Unterschiedlichste Arten von Schildkröten, Schlangen und Echsen. Alligatoren sind allgegenwärtig, was nicht unbedingt  bedeutet, dass man sie permanent sieht. Speziell im Herbst machen sie sich eher rar. So oder so – man braucht vor ihnen keine Angst zu haben, Respekt jedoch schon. Schwimmen ist in den Sümpfen ohnehin nicht angesagt. Im trüben Wasser verstecken sich allerlei ziemlich große Fische und überall liegt Totholz herum. Und, ja, sechs- und achtbeinige Tierchen gibt es natürlich auch. Jene der faszinierenden Sorte wie Schmetterlinge, Käfer, Spinnen und Tausende andere – aber auch die der blutsaugenden Sorte. Wer in der schönsten Zeit des Jahres – im Herbst – die Sümpfe besucht, muss allerdings diesbezüglich nicht in Panik verfallen. 

Herbstlicher Farbrausch

Damit auch zum letzten Vorzug des vergessenen Dschungels: Sumpfzypressen werfen als einzige Vertreter ihrer Art im Herbst das Laub ab. Allerdings nicht ohne zuvor für eine spektakuläre Verfärbung zu sorgen – von gelb bis orange, hin zu unterschiedlichen Rottönen und am Ende braun werdend. Selbst wenn das Laub abgefallen ist, liefert es im Wasser treibend oder an den Luftwurzeln liegend noch schöne Motive. Selbst zu jener bunten Jahreszeit strotzt der Wald noch voller Leben. 

Offene Rechnungen

Nachdem ich nun zeilenlang geschwärmt habe, stellt sich freilich die Frage, wieso sich das Angebot und die Fülle an beeindruckenden Fotos aus den Zypressensümpfen in sehr überschaubaren Grenzen halten. Wo sich doch andernorts gleich Zehntausende Fotografen heutzutage gerne an schönen Landschaften erproben. Island fiele mir da ein. Oder das Fotografieren von Polarlichtern in Norwegen. 
Ein Erklärungsversuch. Seit gut zehn Jahren komme ich nun ein bis zweimal pro Jahr in unterschiedliche Gebiete in Louisiana und im östlichen Texas, um mich jedes Mal erneut verzaubern zu lassen. »Mit meiner Fotoausbeute war ich nur bedingt zufrieden. Es wird noch mehr Anstrengungen und mehr Zeit bedürfen aber im nächsten Jahr werde ich es wieder versuchen.« So endete mein erster Beitrag über diese Landschaft im NaturFoto im Oktober 2011. Im Grunde könnte dieser Bericht, den Sie gerade lesen, ziemlich genau acht Jahre und mehr als zehn weitere Reisen in die Zypressensümpfe später, wortgleich enden. Im Herbst 2019 bin ich wieder dort unterwegs – zu viele fotografische Rechnungen sind noch offen. Doch es hat sich natürlich auch so einiges geändert. Allem voran mein Wissen über das Potenzial des Gebietes und die daraus resultierenden Erwartungshaltungen. Oft ist es schwierig, hohen Erwartungen fotografisch gerecht zu werden. Doch wer einmal tiefer an der Oberfläche kratzt, öffnet eine Tür in eine faszinierende Welt. Nach all den vielen Reisen hierher, arbeite ich aktuell an einem Bildband über die Zypressensümpfe und kann daher nicht behaupten, nicht schon einige zufriedenstellende Ergebnisse geschafft zu haben. Doch jedes Mal eröffnet sich eine neue Facette, ein neues Motiv taucht in meinem Gehirn auf und lässt mir keine Ruhe. Zu Beginn war es deutlich leichter. Auf meiner ersten Reise hatte ich keinerlei Erwartungen, was die Fotoausbeute betrifft, zu viele organisatorische und gebietsspezifische Unwägbarkeiten waren im Spiel. Hitze, Wasser, Kanu, Alligatoren, Stechmücken, Giftschlangen – um nur ein paar davon zu nennen. 
Stichwort »gemiedener« Dschungel: Vor Antritt meiner ersten »Zypressen-Reise« war mein Wunsch einfach nur, zumindest einen Tag lang diese Motive in einem Kajak sitzend vor Augen zu haben. 

Aufwendige Organisation

Wie viele andere Locations auf der Welt strömen Naturfotografen gerne dorthin, wo es »leicht geht«. Wo man alle benötigten Infos betreffend Anreise und (möglichst angenehme) Bedingungen vor Ort aus dem Internet fertig serviert bekommt. Oder noch besser: Wo dies andere für einen übernehmen und man sich »an der Hand« hinführen lassen kann. In den Zypressensümpfen geht kaum etwas wirklich leicht und über das Internet sind, abgesehen davon, wo solche Sümpfe grundsätzlich zu finden sind, nicht allzu viele brauchbaren Infos zu haben. Ohne selber anzupacken, geht hier nichts. Am Ende der ersten Reise hatte ich alle für mich relevanten logistischen Fragen geklärt und ein paar nette Motive auf Planfilm gebannt. (immerhin ausreichend für einen NaturFoto-Beitrag!) Es wäre aus meiner Sicht dumm gewesen, es nun dabei zu belassen – es war daher auch freilich erst der Anfang. 
Okay, doch was ist denn so kompliziert, wird man sich nun fragen? Louisiana ist doch voll von Sümpfen! Stimmt schon, es gibt selbst entlang der befahrenen Highways um New Orleans und im riesigen Gebiet des Atchafalaya (ein Nebenfluss des Mississippi) Zypressensümpfe soweit das Auge reicht. Allerdings sind so gut wie alle ursprünglichen Sumpfwälder bereits vor über 100 Jahren kahlgeschlagen worden, und was man heute auf den ersten Blick vorfindet, sind bloß große Wasserflächen mit vereinzelten Jungbäumen darin. Meist zugewachsen mit Salvinia molesta, einem eingeschleppten Wasserfarn aus Südamerika, der viele der Sümpfe zu ersticken droht. In keiner Weise sehen diese Sümpfe so aus wie jene urtümlichen Zypressenwälder, die sich einst den erfreuten Holzfällern offenbarten. Aber es gibt sie noch. Urwälder mit riesigen Sumpfzypressen – als hätte man das Rad der Zeit um ein paar tausend (oder gar Millionen) Jahre zurückgedreht. Ein paar wenige sind leicht erreichbar: Lake Martin nahe Lafayette (Louisiana) etwa oder der »Millpond«, direkt im Campground des Caddo Lake State Parks in Texas. Nahezu 99 Prozent der interessanten Aufnahmen, die man von den Zypressensümpfen zu sehen bekommt, sind in diesen beiden Locations entstanden – bequem vom Ufer (und Aussichtsplattform) aus und keine fünf Minuten vom Parkplatz entfernt. Aber eben auch ohne viel kreativen Spielraum, um neue Perspektiven und Blickwinkel zu erhaschen. Wer also nicht gerne an der Oberfläche kratzt, wem es genügt, sich nicht näher mit einer Landschaft oder einem speziellen Gebiet fotografisch auseinanderzusetzen, wer bloß ein paar „»Schönbilder« für Insta oder Facebook sucht, die viele »Likes« bringen, der bräuchte hier gar nicht weiterzulesen. Bitte hier entlang: Lake Martin und Millpond. 

Ohne Boot geht nix

Sollten Sie noch immer weiterlesen, dann werde ich versuchen zu erklären, weshalb es sich lohnt, an einem Thema dran zu bleiben, auch wenn es zu schwierig sein kann. Wer tiefer in die Zypressensümpfe eintauchen will, um spannende Plätze, gute Motive und neue Perspektiven zu finden, muss das Ufer verlassen. Man braucht ein Boot, vorzugsweise ein Kajak. Kanus gehen auch, jedoch gestaltet sich dann das Ein- und Aussteigen in den Sümpfen deutlich komplizierter. Mit dem Kajak unterwegs zu sein, war für mich nicht abschreckend – eher im Gegenteil. Viele unserer Fotoreisen fanden mit dem Kajak statt, meist in weit wilderen Gewässern. Meine Frau und ich sind erfahrene Seekajak-Fahrer. Hätte ich die Wahl, ich würde immer per Kajak auf Fotoreise gehen. Man muss dann aber auch das richtige Auto mieten, wo das Kajak oben drauf kommt. Und man muss wissen, wo man ein Kajak herbekommt und ob man auch einen geeigneten Dachträger auftreiben kann. Am Ende, so man die ersten Hürden gemeistert hat, muss man auch einsehen, dass es (mehr als) schwierig sein kann, ein Kajak auf das Autodach zu hieven, wenn man alleine unterwegs ist. Zu zweit ist das kein Problem. Kajak aufs Dach – dann kann es losgehen. Freilich muss man sich auch darüber den Kopf zerbrechen, wie oder wo man kampieren oder sonst wie nächtigen kann. Direkt in den Sümpfen sein Zelt aufzuschlagen, ist kaum möglich und auch nicht empfehlenswert. Daher, ganz gleich ob man auf einem Campground oder in einem Motel oder einer gemieteten Cabin übernachtet, muss man sehr früh raus in die Sümpfe, um bei schönem Morgenlicht an Ort und Stelle zu sein. Sprich: Man muss nicht nur im Dunkeln mit dem Auto ans Wasser gelangen, sondern auch in stockfinsterer Nacht mit dem Kajak lospaddeln. Nicht gerade jedermanns Sache! Man rammt im Dunkeln durchaus den einen oder anderen (sehr großen) dösenden Fisch, der dann mit lautem Platschen davonzischt oder man leuchtet in die vielen, vielen Augenpaare der Alligatoren. Kurz gesagt, es ist unheimlich, wenn auch nicht unbedingt gefährlich. 
Freilich ergibt es auch wenig Sinn, so einfach im Dunkeln drauflos zu paddeln, ohne exakt zu wissen wohin. Zunächst macht man ausgedehnte Kajaktouren und gewöhnt sich an das Medium Sumpf. 

Digital und analog

Meist entdeckt man schnell, dass der Untergrund nur selten stabil genug für ein Stativ ist. Für mich war das auf vielen Reisen ein Problem, weil ich immer die Hoffnung hegte, besonders schöne Momente mit meiner Plattenkamera festhalten zu können. Ohne Stativ geht da freilich nix. Also ein Wunsch, den ich nach und nach aufgegeben habe, auch wenn sich so manches Highlight umsetzten ließ. Nach Erscheinen der Nikon D800 nahm ich erstmals eine digitale Kamera mit mindestens zwei Wechselobjektiven in die Sümpfe mit. Später die D810, heute die D850. Meine Objektive blieben gleich: Ein 28-70 mm- und ein 70-200 mm-Zoom. Wobei letzteres für gut 90 Prozent meiner Digitalaufnahmen verantwortlich zeichnet. Zum einen standen mir mit meiner Toyo Field 45 AII-Großformatkamera ohnehin kurze Brennweiten (vergleichbar mit einem 28-70mm) zur Verfügung, zum anderen lassen sich mit längeren Brennweiten die Motive zusätzlich »verdichten«. Es entsteht dadurch ein Eindruck, der dem Erlebten viel näher kommt. Man vermeidet ungewollt helle Lichtflecken, die oft durch die Kronendächer strahlen und erst auf dem Foto deutlich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen. 
Wenn ich auf eines beim Fotografen immer achte, egal wie dramatisch die Situation gerade ist, dann sind es die Ränder des Bildes und ob helle Flecken das Bild stören. Etwaigen Drittelregeln oder dergleichen schenke ich kaum Beachtung, entweder »funktioniert« ein Motiv für mich oder nicht. Ein anderer Vorteil der längeren Brennweiten besteht darin – sofern sich die Gelegenheit bietet – Wildlife in die Landschaft miteinzubeziehen. Nicht dass dies mit einem Weitwinkel unmöglich wäre, aber entweder sind die Tiere darin dann zu dominant oder zu unscheinbar. Ganz wichtig finde ich es auch, ein GPS-Gerät (mich begleitet seit gut 15 Jahren ein Garmin GPSMAP 64) mit dabeizuhaben. Im Laufe der Zeit habe ich mir viele Trails und Punkte (spezielle Bäume, seichte Stellen im Sumpf oder einfach nur Spots, wo es spannende Blickwinkel gibt) eingespeichert, die ich dann leicht wiederfinden kann. Natürlich habe ich auch Karten der Gebiete dabei oder selbst ausgedruckte Google Earth-Seiten. 

Mein Kajak

Mein Kajak ist ein Native Ultimate FX12 – eine Art Zwischending von Kajak und Kanu. Gebaut wird es eigentlich, um damit Angeln zu gehen und es ist daher auf maximale Stabilität ausgelegt. Auch ist es nicht empfindlich und ich schleife es ohne Hemmungen über felsigen Untergrund oder über diverses Astwerk, das als Hindernis aus dem Wasser ragt. Es gibt im Boot keine Möglichkeit etwas wasserfest zu verstauen, also muss man wasserfeste Packsäcke mitbringen. Wer zum ersten Mal unterwegs ist, ist gut beraten, einmal ohne Fotoausrüstung loszupaddeln, um ein wenig Sicherheit zu bekommen. Im Grunde ist es jedoch kinderleicht und man braucht sich keine Sorgen über etwaiges Kentern machen. Ganz grundsätzlich gilt freilich, dass Paddeln Übungssache ist und man sowohl die Technik als auch die Muskulatur trainieren muss. Das Ein- und Aussteigen in den Sümpfen ist hingegen ein anderes Thema und sollte nur nach entsprechender Übung praktiziert werden. Watstiefel sind dann Voraussetzung und man sollte niemals auch nur einen Schritt durchs trübe Wasser wagen, ohne sich am Bootsrand festzuhalten und sich selbst mittels Leine mit dem Boot zu verbinden. Wer im Sumpf sein Boot verliert, hat ein ernstes Problem. 
Wer alles richtig macht, taucht beinahe geräuschlos schwebend in eine Urwaldszenerie ein und wird sogleich von ihr umschlungen. Im Kajak sitzend befindet man sich oft auf Augenhöhe mit Reihern, die sich auf den Fischfang konzentrieren anstatt dem Paddler Beachtung zu schenken. Selbst einem auf einem Baumstamm dösenden Alligator kann man quasi ins Auge blicken, so man ihn rechtzeitig entdeckt. Man lernt den Kopf vor großen Spinnennetzen einzuziehen und schärft seinen Blick für Biber oder Fischotter, die einen gerne aus naher Distanz beobachten. Zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man einen perfekten, windstillen und kalten Morgen »erwischt«, wo sich der Nebel bis lange nach Sonnenaufgang hält (was nicht alltäglich ist) während man mit dem Kajak durch diese Zauberkulisse gleitet, ist mir unmöglich. Ich kann nur hoffen, dass zumindest das eine oder andere Foto dies für mich erledigt. 

Fotografen-Alltag

Mein fotografischer Alltag in den Sümpfen sieht meist so aus: Ich stelle meinen Wecker so, dass ich mich etwa zwei Stunden vor Sonnenaufgang mit dem Boot am Ufer abstoßen kann – je nach Location, die ich erreichen will. Manchmal geht es direkt vom Zelt aus los, manchmal muss ich erst mit dem Auto zu einer geeigneten Stelle an ein entsprechendes Ufer fahren. Neben Fotoausrüstung samt schwerem Stativ kommen immer GPS, Watstiefel, Ersatzkleidung bzw. Regenjacke, Proviant, Stirnlampe, Karte und ein paar Kleinigkeiten (Sonnencreme, Insektenschutz!) mit ins Boot. Das klingt komplizierter als es ist – man hat im Lauf der Zeit eine mit den genannten Utensilien gefüllte Tasche parat und die wirft man im Dunkeln einfach ins Boot. Mit dem Boot erreicht man mühelos eine Geschwindigkeit von fünf Stundenkilometern und ich bin so gut wie den ganzen Tag unterwegs. Teilweise fotografierend, teilweise ruhend oder nach weiteren Motiven Ausschau haltend. Gegen Abend paddle ich dann zu speziellen Plätzen, die ich mir vorab vorgenommen habe und meist dauert es bis tief in die Dunkelheit, bis ich wieder beim Auto oder Zelt bin. Es kommt während meinen etwa zweiwöchigen Fototouren eher selten vor, dass ich bei Tageslicht festen Boden unter den Beinen habe. Außer es ist Regen angesagt, dann darf ich ausschlafen …

Fototourismus – Wohl und Wehe

Nach all den Sumpf-Foto-Jahren haben viele meiner Aufnahmen diverse Magazinseiten geschmückt oder wurden vielfach abgedruckt. Ein Bild wurde sogar einmal beim Wildlife Photographer of the Year-Wettbewerb als Kategorie-Sieger ausgezeichnet und es war mir immer klar, dass faszinierende Bilder dieser Gegend nicht unbeachtet bleiben würden. Meine Bilder haben daher zweifellos dazu beigetragen, dass die Zypressensümpfe nun auf der »Liste« vieler Fotografen stehen. Ein Umstand, der mir normalerweise ziemliches Bauchweh verursacht. Es bedeutet heutzutage fast gleichzeitig auch das Einsetzten des Foto-Tourismus, Workshops, Fotoreisen etc. In manchen »Ecken« der Erde kann man durchaus auch von Foto-Massentourismus sprechen. Mit allen negativen Begleiterscheinungen für die jeweiligen Habitate aber auch mit allen negativen Begleiterscheinungen für all jene Menschen, die auf ihren Fotoreisen gerne noch alleine sind und sich diese auch entsprechend selber organisieren. Ein riesiger Prozentsatz all jener Naturaufnahmen, die wir über Social Media (jedoch auch über viele andere Medien oder Fotowettbewerbe) konsumieren, entstehen aus zweierlei Antrieb: Erstens, um mit ihnen Foto-Tourismus zu bewerben. (Sprich: sie werden von Fotografen publiziert, die ihr Einkommen mit dem Veranstalten von Fotoreisen verdienen und entsprechend zahlungskräftige Klienten anlocken wollen, die jene Motive als »selbst gemacht« in ihrem Portfolio haben möchten.) Zweitens, diese Bilder wurden von eben jenen Fototour-Klienten auf einer dieser organisierten Fotoreisen gemacht (um eben dann – verständlicherweise, nachdem man ja auch eine Menge Geld dafür hingelegt hat – diese Bilder als »Trophäe« postet oder sonstwie breitenwirksam präsentiert). 
Nur selten erzählen diese »faszinierenden« Bilder eine Geschichte über den Fakt hinaus, dass sie schön anzusehen sind. So läuft das Business der Naturfotografie im 21. Jahrhundert. Wahnsinnig viele schöne Bilder, die jedoch eine gewisse Leere erzeugen, stehen nur wenigen Fotoprojekten mit Tiefgang gegenüber. 
Auch wenn ich das mit leicht negativem Unterton schreibe, so ist das nicht nur schlecht. Im Fall der Zypressensümpfe sieht es so aus, dass sich bereits einzelne Anbieter gefunden haben, die Fototouren in die Sümpfe begleiten. Drei sind mir bekannt, zwei davon werden von Locals organisiert und bieten Fotografen vor Ort die Möglichkeit, sich ein Zubrot zu verdienen. Die Dritte ist vom Fotografenpaar Daniella Sibbing und Marcel van Oosten und ihrer Firma Squiver organisiert und stellt vermutlich die kompletteste Möglichkeit dar, möglichst viele faszinierende Einblicke in die Welt der Zypressensümpfe zu bekommen, ohne sich dabei selbst um organisatorische Dinge kümmern zu müssen. Es geht dabei auch nicht um »das eine Bild«, sondern um ein Kennenlernen der Landschaft. Auf Komfort und Luxus braucht man dabei freilich nicht zu verzichten. Ich kann das insofern bestätigen, weil ich selber bereits als (fotografischer) Leiter auf einer Squiver-Reise dabei war (und auch in den Jahren 2020 und 2021 sein werde). Ich nehme mitunter sogar interessierte Fotografen selbst mit auf eine Sumpf-Fotoreise – dann allerdings frei von jeglichem Luxus… 

Also über Fototourismus lästern und gleichzeitig dazu beitragen? Ja – aber nur bedingt. Mein Stand der Dinge ist der, dass Foto-Tourismus in den in diesem Bericht beschriebenen Gebieten eine positive Wirkung entfalten kann und auch das Erlebnis für all jene, die sich selbst hergewagt haben, um die stille Natur zu erleben, nicht durch Rudelaufkommen zerstört wird. 

Rettung durch Aufmerksamkeit

Die wenigen noch erhaltenen alten Zypressensümpfe in Louisiana und Texas sind großteils nicht geschützt. Illegale Holzfällerei ist weit verbreitet – die Strafe dafür minimal. Abgesehen von einer Riesenschar Jägern betreten kaum Menschen diese unwegsame Landschaft. Im Gegenteil: Die vielen Überflutungen haben ein negatives Image geschaffen. Heute sind viele dieser Sümpfe von Dämmen eingezäunt und haben keinerlei Trockenphasen mehr. Dadurch können auch keine Samen mehr keimen und die riesigen Zypressenurwälder sind quasi dem Aussterben preisgegeben. Im »Tiefen Süden« interessieren sich nur wenige für den Schutz dieser empfindlichen Landschaft. Je mehr Menschen also eigens wegen der Sumpfzypressen angereist kommen, desto mehr Aufmerksamkeit wird ihnen geschenkt und desto eher haben die Einheimischen die Möglichkeit, daran zu verdienen. Ich sähe beispielsweise keine Motivation darin, Menschen in den Everglades-Nationalpark zu karren, wo ohnehin schon Massentourismus besteht und das ausreichend geschützte Gebiet eher an den Besuchern leidet als an sonst etwas. Nicht die Besucher sind hier in Louisiana, einem wirtschaftlich wenig begünstigten Bundesstaat, das Problem, sondern Industrie, Zersiedelung und damit einhergehende regulative Zwänge abseits des Naturschutzes. Foto-Tourismus kann sich hier positiv auswirken. Wo Menschen an Natur verdienen, entsteht auch ein Interesse daran, diese zu erhalten. 
So oder so, man kann im Grunde davon ausgehen, dass man bei den alten Sumpfzypressen abseits der leicht erreichbaren Ufer kaum anderen Fotografen begegnen wird. Es liegt in der Natur dieser Sümpfe, dass sie sich mit Wasser, Mücken und vielen anderen Hürden selbst vor allzu vielen Besuchern schützen. Wer ihr Geheimnis kennenlernen will, muss so einiges auf sich nehmen. Aber man wird für die Mühen belohnt.

Georg Popp
… arbeitet seit über 20 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Verena Popp-Hackner hauptberuflich als Landschaftsfotograf. Ihre Arbeit ist meist langfristig verfolgten Themen untergeordnet. Zuletzt erschienen von ihnen die Bücher »Wiener Wildnis« (2017, 49 €) als Ergebnis ihres gleichnamigen Fotoprojektes über ihre wilde Heimatstadt Wien und der 400 Seiten starke Luxus-Bildband »Times and Transitions« (2019, 550 €) als persönliche Retrospektive ihres bisherigen Schaffens als professionelle Naturfotografen. Beide Bücher kann man über ihre Website bestellen. Georg Popp organisiert auch individuelle Fototouren (max. 4 Personen) in die Zypressensümpfe bzw. leitet im Herbst 2020 und 2021 die jeweiligen Fotoreisen von Squiver. (www.squiver.com) | www.popphackner.com