Die ersten drei Kinoproduktionen aus dem Hause nautilusfilm rund um den Regisseur, Kameramann und Autor Jan Haft widmeten sich einzelnen Lebensräumen wie dem Wald (2012), dem Moor (2015) und der Wiese (2019). Dass es nun um die heimische Natur im Allgemeinen gehen soll, mag auf den ersten Blick wenig innovativ erscheinen, doch auch dieses Mal versteht es der vielfach ausgezeichnete Naturfilmer, seinem Thema eine Tiefe zu verleihen, die man in den typischen Naturfilmproduktionen im Fernsehprogramm nur selten geboten bekommt. Während die Vorgängerfilme das Kinoformat gezielt nutzten, um die Bilder intensiv wirken zu lassen und mit wenig Audiokommentar auskamen, ist »Heimat Natur« deutlich textlastiger geworden. Schauspieler Benno Fürmann führt mit seiner markanten Stimme durch die knapp 100 Minuten dauernde Reise von den Alpen bis zur Nordsee und dabei zieht sich als übergeordnetes Thema die Wechselwirkung zwischen menschlichem Tun und der Natur durch die Erzählung. Während viele andere Naturfilme dem typischen Muster folgen, zunächst die Schönheit der dargestellten Natur zu zelebrieren und im Anschluss auf ihre Bedrohung durch den Menschen aufmerksam zu machen, werden hier diese beiden untrennbar miteinander verbundenen Faktoren stets gemeinsam betrachtet. Das ist erfreulich und führt dazu, dass die eine oder andere Klischeevorstellung vom Menschen als ausschließlichem Zerstörer der Natur zurechtgerückt wird. So wird beispielsweise die Frage aufgeworfen, was mit der Biodiversität geschieht, wenn der Mensch mit seinen Nutztieren die Almwiesen der Alpen verlässt. Daran anknüpfend wird ein Projekt aus der Schwäbischen Alb vorgestellt, bei dem Hausrinder in den Wald geschickt werden, damit diese – wie einst ihre Vorfahren, die Auerochsen – für Lichtungen sorgen und damit die Artenvielfalt befördern. Ein weiteres Beispiel sind die Hinterlassenschaften der Forstwirtschaft. Die Trecker, mit denen die gefällten Bäume aus dem Wald abtransportiert werden, hinterlassen tiefe Spuren, die einerseits den Boden verdichten, andererseits aber nach einem Regenfall der seltenen Gelbbauchunke einen Ort bieten, an dem sich diese vermehren kann. Das Waldsterben, das sich in den letzten Jahren zugespitzt hat und auch medial eine große Resonanz erfahren hat, spielt natürlich ebenfalls eine Rolle. Dabei kommt ein durchaus überraschender Aspekt in Bezug auf den Borkenkäfer zum Vorschein. Neben seinen zerstörerischen Auswirkungen auf die Bäume dient er auch als wichtige Nahrungsquelle etwa für Erdkröten oder Spechte.
»Heimat Natur« widmet sich immer wieder den berühmten zwei Seiten der Medaille. Einerseits gibt es das massive Waldsterben und den Verlust von Insekten, Vögeln und unzähligen anderen Arten, anderseits zählt zur Bestandsaufnahme auch die Wiederkehr von Tieren wie Wolf, Bär oder Fischotter in unsere heimische Natur. Ein weiterer wichtiger und im Zusammenhang mit dem Thema Artenvielfalt oft wenig beachteter Faktor, der im Film viel Raum einnimt, ist der nicht-molekulare Stickstoff, der vor allem durch die industrialisierte Landwirtschaft und den Straßenverkehr in die Natur gelangt und massive Auswirkungen auf die Lebensräume und den Fortbestand vieler Arten hat.
»Heimat Natur« liefert einige interessante Denkanstöße, die die Zuschauer mit einer neuen Perspektive auf die heimische Natur blicken lassen. Und bei aller kritischen Auseinandersetzung mit Themen wie Land- und Forstwirtschaft oder Luftverschmutzung ist es natürlich auch ein ästhetischer Genuss, die Vielfalt der unterschiedlichsten Lebensräume, die sich hierzulande finden, im Detail zu erleben. Wie die anderen Produktionen ist auch »Heimat Natur« auf dem neuesten Stand der Technik, bietet beeindruckende Drohnen-, Nacht- und Unterwasseraufnahmen oder spektakuläre Zeitrafferbilder mit bewegter Kamera. Der Soundtrack von Dominik Eulberg und Sebastian Schmidt setzt dieses Mal komplett auf elektronische Klänge, was für manch einen Kinobesucher gewöhnungsbedürftig sein mag, aber doch wunderbar mit den sensibel und detailverliebt aufgenommenen Bildern der Filmemacher harmoniert. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass man unsere absolut leinwandtaugliche Natur auch tatsächlich im gebührenden Rahmen eines Kinosaals wird genießen können.
Patrick Brakowsky