Causses & Cevennen


Die halbe Welt in Frankreichs Süden

von: Thierry Vezon
Es gibt ein Gebiet im Süden Frankreichs, das mit einer vergleichbar eindrucksvollen Landschaft aufwarten kann und zudem noch in Sichtweite zum Mittelmeer liegt. Die karstigen Hochebenen der Causses und die von tiefen Schluchten durchzogenen Cevennen bieten eine ungemein vielfältige, wilde Landschaft mit enorm artenr­eicher Flora sowie attrak­tiven Tieren wie Geiern und Przewalski-Pferden. Der französische Fotograf Thierry Vezon ist in den Cevennen geboren und lebt heute ganz in der Nähe. Über viele Jahre hat er in den Causses und Cevennen gearbeitet und zeigt uns einige seiner Lieblingsplätze dieses in vieler Hinsicht außer­gewöhnlichen französischen Nationalparks.

Causses und Cevennen sind seit 2012 Teil des UNESCO Welterbes. Wenn Sie Naturliebhaber sind, sollten Sie diesen Teil Frankreichs unbedingt einmal besuchen. Eine erstaunliche biologische Vielfalt und wundervolle, sehr abwechslungsreiche Landschaften erwarten sie dort. Wenn Sie die nebligen Landschaften der Gelben Berge Chinas beeindruckend finden, die weite Reise aber scheuen, besuchen Sie die Schluchten der Jonte oder des Tarn. Sind Sie ein Fan der schottischen Highlands oder der Insel Skye, wird Ihnen die Causse Méjean gefallen – die Landschaft dort sieht fast genauso aus. Können Sie sich vorstellen, dass man manchmal, wenn man im Winter, nur eine Stunde Fahrt vom Mittelmeer entfernt, auf dem 1.565 Meter hohen Mont Aigoual steht, glaubt, mitten in Lappland zu sein?
Seit 1970 bemühen sich die Mitarbeiter des Cevennen-Nationalparks intensiv, diesen Landstrich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und dessen Schutz zu gewährleisten. In vielerlei Hinsicht unterscheidet sich dieser von anderen Nationalparks. So befindet er sich in einem Mittelgebirge. Zudem ist das Gebiet besiedelt und wird landwirtschaftlich genutzt und zudem wird die Jagd unter spezifischen Auflagen geduldet. Dass die biologische Vielfalt darunter nicht leiden muss, zeigt sich unter anderem darin, dass 40 Prozent aller in Frankreich heimischen Pflanzenarten auch im Nationalpark zu finden sind. Mit 2.400 Tierarten ist auch die Vielfalt der Fauna erstaunlich. So ist der Park unter anderem Heimat von mehr als 100 Brutpaaren des Schlangenadlers, einem Zugvogel, der sich, der Name legt es nahe, im Wesentlichen von Schlangen ernährt.
Um den Beitrag einigermaßen übersichtlich zu halten, habe ich Causses und Cevennen in vier Bereiche untergliedert: Die Täler und das Flusssystem des Gardons in der Region um Saint-Jean du Gard, der Mont Aigoual und seine Umgebung, der Mont Lozère und seine Umgebung sowie die Causse Méjean und die Schluchten der Jonte und des Tarn.

Das Gardon-Flusssystem

Die meisten Flüsse, die in den Cevennen entspringen und sich dann schließlich zum Gard vereinen, heißen Gardons. Sie sind friedlich und ruhig im Sommer, im Herbst jedoch verwandeln sie sich in Folge der stürmischen Unwetter in reißende Fluten. Im Frühling entfaltet sich eine in vielen wundervollen Grüntönen leuchtende Flora. Mit Geduld und einem Tarnzelt kann man dann entlang der Flüsse Eisvögel, Grau- und Seidenreiher fotografieren. Im Sommer laden die klaren Flüsse zwar zum Baden ein um gute Bilder zu machen, sollte man aber sehr früh unterwegs sein. Im September ergeben sich zuweilen erstaunliche Stimmungen, vor allem kurz nach Sonnenaufgang, wenn leichter Nebel über der Landschaft liegt und überall Vögel zu sehen sind. Nahe Mialet, einer der berühmten Landmarken der protestan­tischen Geschichte in Frankreich, nicht weit entfernt von der Bambouserie in Anduze, prägen grandiose Felsformationen die Flusslandschaft des Gardon.
In den Hochlagen haben Menschen und deren Tierherden dafür gesorgt, dass Moorheiden entstanden und erhalten blieben. In der Nähe von Barre-les-Cevennes auf dem Höhenzug des Plan de Fontmort verleiht das Heidekraut der Landschaft seine charakteristischen Farben. Hier ist Schiefer-Land. Schieferplatten werden zum Decken der Dächer und für die Anlage von Wegen genutzt.

Der Mont Aigoual

Besonders schön ist die Waldlandschaft am Mont Aigoual nahe dem Ski-Ort L’Esperou. Hier finden sich zahlreiche sehr schöne Buchen, die von den Einheimischen Fayard genannt werden. Im Herbst zeigen diese Wälder sich in einer unglaublichen Farbenpracht. Im Winter erreichen die Temperaturen Tiefstwerte, wie man sie eigentlich nur in Nordeuropa erwarten würde. Zudem können stürmische Winde die Bäume in den Hochlagen in Eisskulpturen verwandeln. Dann sind Schneeschuhe unerlässlich, möchte man diese Schneelandschaften erkunden.
Vom Gipfel des 1.565 Meter hohen Mont Aigoual hat man einen fantastischen Blick über die Landschaft. Sowohl die Alpen als auch das Mittelmeer sind von hier zu sehen. Hier oben befindet sich auch Frankreichs letztes verbliebenes meteorologisches Bergobservatorium, das bereits 1894 eingeweiht wurde.
Ziemlich oft lassen sich vom Gipfel aus grandiose Sonnenaufgänge bewundern. Robert Louis Stevenson, der berühmte schottische Autor der „Schatzinsel“ schrieb in seinem 1879 erschienenen Buch „Travels with a Donkey in the Cevennes“: Vom Mont Aigoual kannst Du die blauen Wellen der Cevennen-Hügel und Täler bewundern.“

Der Mont Lozère

Der Mont Lozère ist mit 1.699 Meter der höchste Berg der Cevennen. Rund um das Bergmassiv erstreckt sich eine von wilden Granitfelsen geprägte Landschaft. Hier entspringt der Tarn. Ein typischer Ort der Region ist Pont de Montvert und der bietet sich als Ausgangspunkt für Wanderungen in das Gebiet an. Zahlreiche Torfmoore prägen die Landschaft – Mosaike aus Wasser und Land. Dort gedeiht der Sonnentau, eine fleischfressende Pflanze, die den herrschenden Nährstoffmangel dieser Lebensräume durch tierische Beute kompensiert. Der Frühling ist die optimale Zeit, um hier die artenreiche Flora zu bewundern. Hier auf den sauren Böden an den Hängen des Mont Lozère finden sich üppige Bestände der Frühlings­küchenschelle. Etwas später taucht der Ginster die Landschaft in leuchtendes Gelb.

Causse Méjean, Tarn und Jonte

Im Winter ist die weite Hochebene der Causse Méjean besonders schön. Dann sieht es dort aus wie in den schottischen Highlands oder in der mongolischen Steppe. Besonders unter dem Nachthimmel erscheint der Ort Nimes-le Vieux mit seinen skurrilen Kalkfelsen atemberaubend. Die Przewalski-Pferde (in ihrer mongolischen Heimat als Takh oder Takhi bezeichnet), die man auch hier sehen kann, sind die einzigen überlebenden Urwildpferde, die nie domestiziert wurden. Ihre Vorfahren lebten hier in der Eiszeit. In ihrer asiatischen Heimat praktisch ausgestorben, überlebte die Art in einigen Zoos. Ausgehend von 14 Individuen gelang es, den Gesamtbestand auf heute gut 2.000 Tiere zu erhöhen. Claudia Feh, Gründerin der Association Takh verfolgt das Ziel, den Tieren ihre Wildheit, die sie in der Zoohaltung eingebüßt haben, zurückzugeben. So begann sie damit, im Zoo geborene Pferde in dieser ursprünglichen Landschaft freizulassen. Nach mittlerweile fast zehn Jahren Freiheit rund um Le Villaret bildet die kleine Population Familienverbände und zeigt die typischen Verhaltensweisen wilder Pferde. Sie erscheinen nun bereit für die lange Reise zurück in ihre mongolische Urheimat. Bislang wurden bereits 20 Tiere in der Mongolei ausgewildert.
Schafzucht ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für den Erhalt der
typischen Flora des Gebiets. Sie sorgt für eine Unterdrückung der Verbuschung und stabilisiert so die Lebensbedingungen beispielsweise für verschiedene Orchideenarten. Es gibt ein altes römisches Sprichwort, das lautet „Ubi pecora, ibi vultures“, was bedeutet: „Wo Hirten sind, findest Du auch Geier“. In der Causse Méjean und in der Schlucht der Jonte wurden in den 1980er-Jahren zunächst Gänsegeier, später auch Mönchsgeier wieder angesiedelt. Aufgrund von gezielter Vergiftung und Bejagung sowie Bestimmungen, die es Bauern untersagten, tote Tiere in der Landschaft zu belassen, verschwand der Gänsegeier einst aus den Causses. Die Vision und Leidenschaft einiger Männer jedoch ließ ihre Rückkehr Wirklichkeit werden. Die Wiederansiedlung erwies sich als äußerst erfolgreich und heute kann man praktisch bei jeder Wanderung auf den Pfaden entlang der Jonte-Schlucht Geier beobachten.
Eine Wanderung vom Dorf Le Rozier zur Causse Méjean bietet eindrucksvolle Erlebnisse. Unterwegs trifft man auf bizarre von Wasser und Wind geformte Felsskulpturen. Die berühmtesten haben Namen wie „Vase von Sevres“ oder „Chinesische Vase“. Mit etwas Glück kann man hier an nebligen Tagen eine Landschaft erleben, die sehr stark an die Gelben Berge Chinas, das Huang­shan-Gebirge, erinnert.

Viele Facetten

Mit diesem Beitrag wollte ich Sie tief ins Herz der Cevennen entführen, die sich im Herbst mit ihren vielen Farbschattierungen warmherzig präsentieren, im Winter in Eis und Schnee glitzern, mit Jahrhunderte alten Bäumen und herbstlichen  Wassermassen in Flüssen und Bächen beeindrucken. Herb und karg in den Causses, geheimnisvoll im Nebel, schroff in den Schluchten, mancherorts mit sanft erodierten Wellen, endlosen Horizonten, mit einer widerspenstigen Seele, lebendig – in einem Wort: natürlich.  

Thierry Vezon

… lebt in Südfrankreich und findet vor allem dort, im Languedoc, der Provence, in der Camargue und in den Cevennen, seine Motive. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter dem Bildband „Cèvennes nature“ (Alcide 2012, ca. 25 €) sowie „Cèvennes: regards croisés“ (Alcide 2015, ca. 35 €). Seine Arbeiten werden außerdem in verschiedenen Magazinen wie
Geo, BBC Wildlife oder Terre Sauvages veröffentlicht.  www.thierryvezon.com