Unverhoffte Begegnung


Baummarder wird zum Langzeitprojekt

von: Thomas Grüner
Wenn von Mardern die Rede ist, so geht es dabei in der Regel um durchgebissene Bremsschläuche und Radau auf dem Dachboden. Dafür ist der Steinmarder verantwortlich, der sich längst auch in urbanen Biotopen heimisch fühlt. Viel unauffälliger und scheuer ist sein Verwandter, der Baummarder. Der bevorzugt große zusammenhängende Waldbiotope und lebt – der Name sagt’s – vornehmlich auf Bäumen. Wer Baummarder fotografieren möchte, braucht Glück, Geduld, Ausdauer – und reichlich Futter. Thomas Grüner beschreibt seine langjährige Beziehung zu diesem reizvollen kleinen Raubtier.

Geplant war es nicht, sich den Baummarder als Fotoobjekt auszusuchen, aber als ich eine Winterfütterung anlegte, ergab sich die Begegnung unverhofft und aus der zufälligen Begegnung wurde eine Passion. Aber der Reihe nach …

Rätselhafter Futterschwund

010 beschloss ich, eine Winterfütterung anzulegen. Um nicht alle paar Tage die Futtervorräte auffüllen zu müssen, habe ich größere Mengen Futter angeboten. Es lief alles ganz normal, bis ich plötzlich feststellte, dass innerhalb weniger Tage zehn Kilogramm Fettfutter weggefressen waren. Ich wunderte mich, wie viel Meisen am Tag eigentlich fressen können. Dann entdeckte ich erste Kratzspuren am Baum, an dem das Fettfutter aufgehängt war, und der erste Schneefall brachte dann endgültig Klarheit: die typischen Doppelsprungspuren wiesen eindeutig auf einen Marder als Verursacher hin. Natürlich dachte ich zunächst an einen Steinmarder und beschränkte mich darauf, die Fütterung mardersicher anzulegen.
Es dauerte bis ins Frühjahr 2011, als sich alles grundlegend änderte. Ich saß in meinem Versteck, als plötzlich vormittags gegen 10.30 Uhr ein Marder auftauchte. Vor Schreck fiel ich fast rückwärts von meinem Stuhl, doch ich erkannte eindeutig: es war ein Baummarder! Von da an war natürlich mein Interesse geweckt und ich durchwühlte die ganze mir zur Verfügung stehende Literatur. Daraus ergab sich, dass  Baummarder in ungestörten Gebieten bis zu 50 Prozent tagaktiv sein können.

Tagaktiv

Meine Fütterung liegt zwar in einem ungestörten Waldstück, in das sich lediglich im Herbst ab und zu ein paar Schwammerlsucher verirren, dennoch war ich überrascht, dass der Baummarder zu einem so hohen Anteil tagaktiv sein soll. Ich hatte ihn doch trotz zahlreicher Ansitze erst einmal zu Gesicht bekommen. Auch in den folgenden zweieinhalb Jahren gelang keine weitere Sichtung. Um aber endgültige Gewissheit zu bekommen, schaffte ich mir eine Wildkamera an. Und tatsächlich ergab die Auswertung der Bilder, dass der Marder praktisch täglich bei meiner Fütterung vorbeischaute. Mit Akribie erstellte ich Listen und notierte Tag und Uhrzeit der Aufnahmen, um eventuell ein Muster zu erkennen und so die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Ansitzes zu erhöhen.

Zuverlässig unberechenbar

Ein Jahr und eine gestohlene Wildkamera später kam ich zu folgendem Ergebnis: Der Marder kommt, wann er will! Dies kann in der Früh kurz nach Sonnenaufgang oder am Abend kurz vor Sonnenuntergang sein, aber genauso auch um 12 Uhr mittags bei 30° C Hitze. Eine 50-prozentige Tagaktivität konnte ich zwar nicht bestätigen, stellte aber fest, dass die Fütterung zwischen Frühjahr und Herbst mehr oder weniger regelmäßig tagsüber vom Baummarder besucht wird. Dies erklärt auch, warum ich den Baummarder solange nicht entdeckte, denn an einer Winterfütterung sitzt man meist auch nur im Winter an und zu dieser Jahreszeit konnte ich den Baummarder noch nie bei Tageslicht nachweisen (daher werden sich meine Traumbilder vom Marder im Schnee wohl kaum verwirklichen lassen).

Unerwünschte Mitesser

Daraufhin wurde aus der Winterfütterung ab Sommer 2013 eine Marderfütterung, das hieß aber auch, nicht nur alle paar Wochen im Winter Futter nachfüllen sondern zwei bis drei Mal pro Woche, das ganze Jahr hindurch. Im Jahr 2015 war ich 120 Mal an der Fütterung! Da Baummarder bezüglich ihrer Nahrungsaufnahme nicht wählerisch sind, dachte ich zunächst, es sei kein Problem geeignetes Futtermaterial auszulegen. Aber ich hatte die Rechnung ohne den Eichelhäher gemacht. Ich betrachte den Eichelhäher inzwischen als natürlichen Feind aller Tier­fotografen am Futterplatz. Egal ob Rosinen, Obst, Nüsse oder Fleisch – der Eichelhäher ist immer zuerst da und nimmt, was er kriegen kann (auch Brezn, die ich zwischenzeitlich für kurzzeitig anwesende Jungfüchse ausgelegt hatte). Mir kam dann die Idee, das Futter nicht offen auszulegen sondern unter Wurzeln und ähnlichem zu verstecken, da der Eichelhäher seine Nahrung ja mit den Augen findet, der Marder meist mit seiner Nase. Aber auch da machte mir der Eichelhäher einen Strich durch die Rechnung. Flog der Eichelhäher zunächst noch erschreckt davon, wenn der Baummarder auftauchte, hatte er doch recht schnell gelernt, das vom Marder keine Gefahr ausgeht. Und so beobachtete der Eichelhäher aus sicherer Entfernung, wie der Marder das Futter erschnüffelte und kannte dann auch die Verstecke. Ein erneutes Auslegen in diesen Verstecken war von diesem Zeitpunkt an sinnlos, da der Eichelhäher nun auch diese Orte kontrollierte. Ich hatte dann die Idee Honig anzubieten. Auch dieses Vorhaben scheiterte zunächst kolossal. Hunderte Wespen können nicht irren! Ein Schälchen mit ca. 200 Gramm Honig hatten die Wespen innerhalb kürzester Zeit abgetragen, ganz zu schweigen von der Unruhe, die ein solcher Wespenschwarm verursacht. Aber zu Beginn des Frühjahres, wenn Bienen und Wespen noch nicht so aktiv sind, konnte ich den Marder einige Male beim Honigschlecken beobachten. Zu meiner Überraschung entdeckten auch ein Buntspecht und einige Meisen den Honig als Nahrungsquelle.

Elektrisierende Begegnungen

Und so ist es immer ein Wettlauf mit Eichelhäher und Co., ob das Futterversteck gut genug gewählt ist, damit dem Marder noch ein paar Futterbrocken bleiben, wenn er auftaucht. Inzwischen hatte ich schon bestimmt über hundert Begegnungen mit dem Baummarder an meiner Fütterung und es elektrisiert mich immer wieder, wenn er lautlos und unvermittelt auftaucht. Ein besonderes Highlight war die regelmäßigen Besuche dreier Jungtiere an der Fütterung im Sommer 2014. Auch 2016 ist der Marder wieder pünktlich ab Ende März tagsüber aufgetaucht und lässt sich regelmäßig blicken.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Aufrecht­erhaltung einer solchen Fütterung mit erheblichem finanziellen und zeitlichem Aufwand verbunden ist und man sollte sich vorher genau überlegen, ob man bereit ist so viel Zeit und Geld darin zu investieren. Aber wenn der Marder dann einmal in die Kamera lächelt …

Thomas Grüner

… interessiert sich schon seit Kindheits­tagen für die Natur und versucht seit nahezu 35 Jahren seine Eindrücke mit der Kamera einzufangen. Seine Bilder wurden bereits mehrfach bei internationalen Naturfotowettbewerben ausgezeichnet. Im Bergverlag Rother veröffentlichte er das Buch "Bayerische Alpen" und den Wanderführer "Alpentiere".