Schmerzvolles Beobachten
Hinschauen, Bilder machen statt Schreien. So entstand unsere Cyanotypie-Serie »Save our Souls«. Hinschauen statt deprimiert wegdrücken, was die Ergebnisse der Artenmonitorings wieder und wieder belegen: Millionenfachen Tod von Einzeltieren, das Aussterben ganzer Arten – und letztlich die Bedrohung unseres Überlebens. Emotional gründet die Serie daher auf dem Grenzgang zwischen dem Glück des Beobachtens im Augenblick vor Ort – und dem Schmerz danach, angesichts des Bedrohungszusammenhangs, der den gesehenen Ausschnitt herum umdrängt. Das monochromatische und verfremdend wirkende Cyanotypie-Verfahren erschien das passende Mittel, all das zum Ausdruck zu bringen. Es zählt zu den ältesten fotografischen Techniken und wurde nach der blauen Farbe benannt, die es enthält. Die damit entstandenen »Save our Souls«-Tableaus schwingen in Inhalt, Umsetzung und Botschaft zwischen Verfremdung und Normalität, analoger und digitaler Technik, ungewohntem Blickwinkel und tausendfach Gesehenem.
Darstellungsform finden
Wie immer bei unseren Arbeiten zündet der oder die eine die Konzeptidee, die oder der andere steuert Know-how plus kritische Anmerkungen bei – und so treiben wir gemeinsam die Umsetzung voran. Inspirierend für diese Serie wirkten das Buch »Plant« (Phaidon Press, 2016) und darin vor allem die Arbeiten der Naturwissenschaftlerin Anna Atkins. Die Britin war die erste, die Cyanotypien in dieser Form herstellte. Ihre detailreichen und filigranen Blaudrucke von britischen Meeresalgen und Landpflanzen entstanden zwischen 1843 und 1853. Sie platzierte ihre Präparate direkt auf mit Cyano-Emulsion lichtempfindlich gemachtes Papier und belichtete sie im Sonnenlicht. Die tiefblauen Negativ-Kontaktprints haben bis heute für Wissenschaftler wie Künstler große Anziehungskraft. Vielleicht, weil sie über beide Bereiche hinausweisen.
Mit dem faszinierenden Farbton und den verfremdend wirkenden Negativabdrucken waren die für »Save our Souls« wesentlichen Gestaltungsmerkmale gefunden und gesetzt.
Technik der Cyanotypie
Vor gut zehn Jahren hatte Pat das Verfahren schon einmal ausgelotet und bei einer Illustrations-Serie für einen Magazinartikel genutzt. Die Emulsion damals stammte von Fotospeed, das Kistchen mit Anleitung und Glasröhrchen für einen gleichmäßigen Auftrag der Emulsion aufs Papier gab es noch. Wir recherchierten und machten uns wieder vertraut mit der alten Technik sowie den weiterentwickelten Chemikalien. Lichtempfindlich wird das Papier durch eine Lösung aus Eisenammoniumnitrat und Blutlaugensalz, die mit Pinsel oder Minifarbroller aufgetragen wird. Lichteinwirkung lässt daraus eine wasserunlösliche Farbe entstehen – das »Berliner Blau«. Anders als zu Anna Atkins‘ Zeiten ist die Emulsion heute weniger umweltschädlich und anorganisch.
Auf fotosensibilisierte Trägermateralien (Papier, Stoff etc.) legt man dann Negative oder Objekte wie Pflanzen und setzt sie Sonnenlicht aus. Emulsion, die nicht belichtet wird, bleibt wasserlöslich und wird im Entwicklungsprozess ausgewaschen. Im Grunde reicht fließendes Wasser fürs Entwickeln. Um den Prozess zu beschleunigen, vor allem aber um Brillanz und Haltbarkeit zu erhöhen, empfehlen die erfahrenen Fotochemiker, erst ein Säure-, dann ein Wasserstoffperoxidbad. Aus unserer Erfahrung heraus kommen die besten Folien für den Druck von Negativen von Fotospeed, das beste Papier von Hahnemühle und die besten Chemikalien von Wolfgang Moersch (moersch-photochemie.de). Seine »gebrauchsfertige Cyano-Emulsion« basiert auf einer Rezeptur des britischen Fotografen und Fotochemikers Mike Ware. Prinzipiell ein simples Verfahren, und doch birgt das fertige Bild reichlich Arbeit und ebenso reichlichen Zeitaufwand. Unter anderem weil man bei unterschiedlicher Sonnenintensität je nach Uhr- und Jahreszeit oder unterschiedlich dichten Negativen die optimale Belichtungs- und Entwicklungszeit erfühlen muss. Die ersten Cyanos für »Save our Souls« entstanden auf dem Balkon und im Badezimmer. Was die eine zwar recht hektisch, aber dem Verfahren als am angemessensten empfand, war dem anderen zu unberechenbar. Beides hat seinen Punkt. Ohne Deadlines kann man bei besten Bedingungen arbeiten: Im Hochsommer bei ungetrübtem Sonnenschein, vorzugsweise auf dem Land, fern von himmelverschleierndem Flugverkehr. Besser, nein, optimal sind dagegen Dunkelkammer und UV-Belichter. Da wir seit diesem Jahr endlich wieder eine Dunkelkammer besitzen und seit Kurzem auch einen solchen Belichter, kam während der wolkenverhangenen Zeit die Sonne aus der JOBO-Black Box »Artisan Platinum Printer«. Geniales Teil. Schublade auf, Kontaktkopierer rein, Schublade zu, LED-Sonne an. Anna Atkins wäre begeistert.
Thematisch konsistente Tableaus
Das Ergebnis aus beiden Verfahren: Neun Tableaus, bestehend aus je zwölf Cyanos. Damit greifen wir die Form wissenschaftlicher Sammlungen auf. Doch dann verlassen wir bekannte Straßen und folgen unserem eigenen emotional-gestalterischen System – sowohl bei der Auswahl der Einzelbilder als auch bei der Zusammenstellung der gezeigten Spezies.
Die Negative sind digital fotografierte Naturbeobachtungen aus 15 Jahren, negativ auf Folie gedruckt. Durch diese »positiven Negative« ist es, als legten wir Tier oder Pflanze direkt aufs Papier. Die je zwölf Bilder eines Sets zeigen einzelne Spezies in verschiedenen Lebensphasen: Von Blüte oder Paarung über Sprössling und Jungtier bis zum Tod. Zu jeder Aufnahme ließe sich eine eigene Geschichte erzählen. Hier ein paar davon:
Die Serie startet mit »Aviarium« (Vogelsammlung), denn Vögel sind beliebt, sie zu beobachten recht populär. Für das erste Bild in der zweiten Reihe mussten wir uns kaum bewegen, es zeigt einen Distelfinken, der Sonnenblumen auf unserem Balkon ansteuert. Als die Finken zum ersten Mal auftauchten, überraschten sie uns sehr, denn in unserer Wohngegend hätten wir sie gar nicht vermutet. Mittlerweile wissen wir es besser, wie viele andere Wildtiere schätzen auch sie die Großstadt, weil dort sowohl die Menge, als auch die Vielfalt des Nahrungsangebots viel größer sind als auf dem Land. Das zweite Tableau »Insectarium« ist den weniger beliebten Sechsbeinern gewidmet. Mittlerweile jedoch ist auch deren Verschwinden den meisten Menschen bewusst. Der Käfer oben links war eine besondere Begegnung. Aus dem Augenwinkel hatten wir nur »etwas Großes« fliegen sehen und irgendwann realisiert: Ein Hirschkäfer! Zum Glück befand sich die richtige Optik auf der Kamera und das Tier landete auch noch auf einem ohne größere Umstände erreichbaren Ast.
Einige Fotos aus dem darauffolgenden Amphibienset »Riparium« sind im Frühjahr, während der Wanderung zu den Laichplätzen entstanden. Das letzte Bild in der zweiten Reihe zeigt eine junge Krötin, der irgendein Tier wohl ein Hinterbein abgebissen hat. Alles gut verheilt – das Jungtier bewegte sich auch dreibeinig so schnell wie nötig. Das »Herbarium« schließlich mit archetypischen Pflanzen wie Farn, Schachtelhalm und Moos hält die Fahne der Hoffnung hoch. Stehen diese Urtypen doch beispielhaft für die Kraft von Organismen, widrigen Umständen zu trotzen, und Lebensräume besiedelbar zu machen. An uns liegt es, das zu bewahren.