Jahre-, nein jahrzehntelang suchte ich als Landschaftsfotograf weite Landschaften mit spektakulären Himmelsphänomenen wie außergewöhnlichen Wolkenformationen, Abend- oder Morgenrot usw. Oft aber sah ich in Magazinen oder in Fotowettbewerben Bilder von Kollegen, die Details aus Landschaften zeigten – ohne Himmel, nicht reißerisch, eher still, ruhig, aber außerordentlich gut. Es gab zwei Gründe, warum ich mich nie an diese Art der Landschaftsfotografie gewagt habe: Zum einen fehlte mir ganz einfach die Geduld, solche Motive zu suchen und gekonnt in Szene zu setzen. Zum anderen – und da bin ich ganz ehrlich – sah ich den kommerziellen Erfolg diese Bilder irgendwie nicht (und hatte und habe mit dieser Sichtweise sicherlich auch heute noch recht). Also machte ich mich weiter auf die Suche nach plakativen Landschaften, die ich gut bei Agenturen, bei Kalenderverlagen und in Magazinen unterbringen konnte.
Der Blick von oben
Ein wenig frischen Wind bekam meine fotografisch doch sehr beschränkte Denkweise im Jahr 2014, als ich in einem Kleinflugzeug die grandiose Landschaft des Wrangel St. Elias Nationalparks in Alaska fotografisch erkundete. Natürlich bestanden auch damals ca. 95 Prozent meiner Bilder aus Landschaften mit Himmel und Bergen und allem was dazugehört, doch immerhin 5 Prozent meiner Bilder zeigten Details: Flussläufe, Berg- und Tundraseen, Wälder mit langen Schatten – alles Motive ohne Horizont, ohne Himmel. Motive, die ich meist mit längerer Brennweite (70-200 mm) von oben nach unten aus der Landschaft gepickt hatte. Zu Hause am Rechner gefielen mir diese Motive meist am besten. Warum? Naja, weil sie halt mal was anderes waren, wie all die Bilder, die man in Zeitschriften oder im Netz sah. Oft musste ich selbst zweimal hinschauen, um zu erkennen, was ich da zeigte oder zeigen wollte. Diese »besonderen« Motive, die sich auf dem ersten Blick evtl. nicht sofort erschließen lassen, zwingen den Betrachter zum Nachdenken, zur Auseinandersetzung mit dem Motiv – und genau das ist es doch, was Fotografie leisten kann (und soll): zum Nachdenken anregen.
Während ich bei meinen Streifzügen durch die bayerischen Alpen, durchs Alpenvorland, durch Alaska, Kanada, Island oder Grönland »am Boden« meiner traditionellen Sichtweise und Fotografie treu blieb und weiterhin große, weite (kalendertaugliche) Landschaftsbilder produzierte, ging ich immer dann zu meinem neuen »Hobby« über, wenn ich im Flugzeug unterwegs war oder wenn ich auf einem Berg stand, kurz: wenn ich irgendwo von oben nach unten fotografieren konnte. Ich schnappte mir mein 70-200 mm-Zoom (manchmal auch mein 100-400 mm) und begann aus der Vogelperspektive zu fotografieren. Aus dem Flugzeug heraus springen einem diese Motive oft förmlich an, die echte Vogelperspektive ist ganz einfach derart spektakulär, dass auf solchen sündhaft teuren Trips relativ viele Motive »herausspringen«. Auf dem Gipfel eines Berges ist es dagegen ein ständiges Suchen mit dem Auge am Sucher, ein »Hin- und Hergezoome«, ein ständiges Drehen und Wenden, bis man (mit viel Glück und Verstand) ein »würdiges« Motiv, ein Detail einer Landschaft entdeckt hat. Viele Bilder in dieser (meiner) neuen Art der Fotografie bekam ich nicht zustande. Zum einen waren (und sind) meine finanziellen Mittel doch leider zu beschränkt, um mir ständig ein Flugzeug chartern zu können, zum anderen sind die Perspektiven von den Gipfeln der Berge (auf denen ich oft genug stand) nicht immer geeignet, um diese »Von-oben-nach-unten-Details« zu fotografieren.
Drohne macht unabhängig
Alles änderte sich im Frühjahr 2017, als ich meine erste Fotodrohne erwarb: Eine DJI Phantom 4 Pro. Es war die erste wirklich finanzierbare, fotofähige Drohne auf dem Markt. Sie stand stabil in der Luft und die Bildqualität des 1 Zoll-Sensors war endlich so gut (nur bei ISO 100 – wie heute noch), dass man damit druckfähige Bilder produzieren konnten.
Für mich kam der Erwerb einer Drohne einer (fotografischen) Revolution gleich. Endlich konnte ich meine neue Art der Fotografie kostenfrei, wann immer ich wollte, betreiben. Ich musste nicht mehr darauf hoffen, dass ein Pilot Zeit hatte, um mich beim perfekten Licht über die Landschaft fliegen, ich musste nicht mehr tausende Euro für einen Flug investieren, war – natürlich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften – vollkommen frei. Wahnsinn. Ich gehe heute fast so weit zu sagen, dass mich die Drohnenfotografie gerettet hat. Endlich was wirklich Neues, nach Jahren des gefühlten »Stillstandes«. Heute fotografiere ich mit einer DJI Mavic 2 pro, die technisch derart perfektioniert ist, dass man sich beinahe zu 100 Prozent auf das Fotografieren konzentrieren kann.
2017 schritt ich sofort zur Tat, war jeden Tag draußen und habe meine Heimat, das bayerische Alpenvorland, die bayerischen Alpen mit der Drohne erkundet. Alles war neu: Landschaften, Regionen, die ich sicherlich (vom Boden) schon hunderte Mal fotografiert hatte, wurden jetzt zu vollkommen neuen Motiven. Mir wurde schlagartig bewusst, dass ein neues fotografisches Zeitalter (zumindest für mich) angebrochen war. Alles was ich je von unten fotografiert hatte, musste nun nochmals von oben angepackt werden. Ich muss zugeben, anfangs fotografierte ich oben nicht anders wie unten, berauscht von meinem kleinen Flugroboter, knipste ich erneut weite Landschaften mit viel Himmel und Erde. Erst nach einiger Zeit entdeckte ich meine so lange vernachlässigten aber geliebten Details wieder. Zum Glück war (und ist) es möglich, die Kamera der Drohnen im 90 Grad-Winkel nach unten zu drehen, so dass man zu 100 Prozent seine »Von-oben-nach-unten-Perspektive« erreicht. Nicht immer ist diese extreme Perspektive vonnöten – manchmal genügt auch ein leichterer Schwenk nach unten, um die Landschaft ohne Himmel, ohne Horizont zu zeigen.
Neuer Blick auf Altbekanntes
Es verlangte viel Übung, herauszufinden, welches Motiv sich für diese Art der Fotografie eignete. Viele Akkuladungen gingen »ungenutzt« drauf, weil ich einfach nur suchte, flog, aber kein einziges Bild produzierte – ich fand einfach kein Motiv. Erst im Laufe der Zeit lernte ich am Boden stehend zu erkennen, welche Landschaften von oben ein Motiv ergaben: allein stehende Bäume mit langen Schatten, kleine Seen in Moorgebieten, Fluss- und Bachläufe in den Bergen, Eisflächen auf zugefrorenen Seen usw. Eine neue Wunderwelt tat sich mir auf. Unspektakuläre Landschaften, die ich jahrelang keines Blickes gewürdigt hatte, wurden nun zum Motiv. Kleine Fischerboote am Sylvensteinspeichersee in den Bayerischen Alpen waren mir zum Beispiel jahrelang ein Dorn im Auge, schwammen sie doch meist irgendwie ins Motiv und mussten in Photoshop immer aufwendig entfernt werden. Mit meiner Drohne wurden sie zum Motiv. Wie sie da kreuz und quer am prächtig herbstlich verfärbten Ufer vor Anker lagen – von oben ein Augenschmaus. Ich begann »meine« Landschaften vollkommen neu zu fotografieren – so wie sie vielleicht noch nie gezeigt wurden. Ich gehe heute so weit zu sagen, dass man unsere heimischen Landschaften mit dieser besonderen Art der Fotografie, fast genauso spektakulär fotografieren kann, wie die berühmten Landschaften Islands, Alaskas, oder Skandinaviens. Jahrelang war es z.B. mein Traum, die Gletscherabflüsse Islands oder Alaskas aus der Luft zu fotografieren. Diese unglaublich verzweigten Flusssysteme gingen mir nie aus den Kopf. Heute suche ich mir in den nahegelegenen Bayerischen Alpen einen weit verzweigten Fluss- oder Bachlauf, bringe meine Drohne in Stellung und fotografiere diesen unscheinbaren Bach (fast) so spektakulär wie einen Flusslauf im Hohen Norden oder sonstwo auf der Welt.
Im Winter 2021 war eine kleine Bucht am Staffelsee im Blauen Land nahe Murnau mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Große Eisschollen drifteten raus auf den offenen See. Ich ließ die Drohne in die Luft und fotografierte den Übergang zwischen Eis und offenen See – schon beim Fotografieren dachte ich mir: »Mann, das schaut ja aus wie die berühmte Eiskante in der Arktis, wenn im Frühjahr das Packeis aufbricht« – und das am Staffelsee! Hätte ich dieses Bild in einen Vortrag über die Arktis gezeigt, niemand hätte den Unterschied gesehen.
Eisspinnen
Eines meiner absoluten Highlights ereignete sich ebenfalls im Winter 2021, genauer gesagt im März. Nach dem langen kalten Winter begann der Riegsee, nur ein paar Kilometer vom Staffelsee entfernt, aufzutauen. Ich fotografierte ganz »old school« am Rande des Sees Landschaften mit viel Bergen und Himmel. Dann schickte ich wie immer meinen kleinen Flugroboter in die Luft – und traute meinen Augen kaum. Auf dem See hatten sich unzählige kleine Eiskrater aufgetan, in deren Mitte sich aufgeplatzte spinnenartige Eisaufrisse bildeten. Ein unglaublicher Anblick – aber nur von oben. Von unten hätte ich dieses Motiv überhaupt nicht wahrgenommen. Ich fotografierte fünf Akkus leer, kam am nächsten Morgen wieder und leerte weitere fünf Akkuladungen!
Tipps zur Aufnahmetechnik
Zur technischen Seite dieser Art der Fotografie: Wer mit der Drohne von oben nach unten fotografiert, wird oft am Rande der Verwacklung arbeiten, da häufig einfach Licht fehlt (kein heller Himmel usw.) Darüber hinaus verliere ich oft noch ein, zwei Blenden Licht, da ich auch auf der Kameradrohne einen Polfilter verwende und zwar aus denselben Gründen wie in der »normalen« Landschaftsfotografie: er sättigt die Farben, reduziert Reflexionen auf Blättern und Wasserflächen. Aber keine Angst: die Stabilisierung der heutigen Kameradrohnen (zumindest bei denen von DJI) funktioniert so gut, dass ich ohne Verwacklung Bilder mit Verschlusszeiten von unter 1/10 Sekunde scharf bekomme. Selbst Bilder mit Verschlusszeiten von einer Sekunde (!) werden meist scharf. Bei derart kniffligen Verschlusszeiten sei jedoch geraten, mehrere Bilder vom Motiv zu schießen – ein scharfes ist dann meist dabei.
Warten auf den Winter
Der Winter steht vor der Tür, die Seen und Flüsse im Alpenvorland werden bald (hoffentlich) unter einer Eisschicht verschwinden, die Landschaft unter einer dicken Schneeschicht vergraben. Eine der interessantesten Jahreszeiten für Drohnenfotografie von »oben nach unten« beginnt. Eisformationen auf Gewässern in allen Varianten, mit Raureif besetzte Bäume, eingeschneite Wälder, die im ersten Licht lange Schatten werfen – Drohnenfotograf, was willst Du mehr?