Allein die technischen Daten der a9 ließen bei der Vorstellung der Kamera so manchen Profi aufhorchen. 20 Bilder pro Sekunde bei kontinuierlichem AF, ein sehr lichtempfindlicher Sensor, ein Puffer, der Platz für 128 unkomprimierte bzw. 241 komprimierte Raws bietet, ein schneller Autofokus, der nahezu das gesamte Bildfeld abdeckt – all die genannten Werte ließen die Spiegelreflex-Konkurrenz relativ alt aussehen.
Sonys a9 ist auf hohe Geschwindigkeit und das Fotografieren unter ungünstigen Lichtbedingungen getrimmt – und bietet so genau das, was viele Sport- aber auch Tierfotografen sich wünschen. Nun ist Papier geduldig, und was sich vielversprechend anhört, erfüllt die Erwartungen nicht immer. Ich war daher schon sehr gespannt, wie sich die mittlerweile seit gut anderthalb Jahren erhältliche Kamera in der naturfotografischen Praxis schlägt. Dabei interessierten mich natürlich vor allem Geschwindigkeit und Präzision des AF sowie die Qualität bei hohen ISO-Einstellungen. Darüber hinaus wollte ich aber auch wissen, wie sich die Kamera bei technisch weniger anspruchsvollen Motiven wie Landschaften verhält. Für den Test standen mir neben der Kamera das FE 3,5-5,6/28-70 mm OSS, das FE 2,8/70-200 mm GM OSS, das FE 4,5-5,6/100-400 mm GM OSS sowie der 1,4fach-Konverter zur Verfügung. Das 100-400 mm-Zoom wurde dabei aber schnell zu meinem Lieblingsobjektiv.
In der Hand
Wer, wie ich, zwar oft Kameras ausprobieren darf, üblicherweise aber mit einer Vollformat-DSLR unterwegs ist, staunt, wie klein eine dennoch enorm leistungsfähige und gut ausgestattete spiegellose Kamera sein kann. Mit 674 Gramm ist sie rund 300 Gramm leichter als meine 5D Mk IV, und verglichen mit den hinsichtlich der Leistung direkten Konkurrenten Nikon D5 oder Canon EOS-1 DX bringt sie nur etwa die Hälfte auf die Waage. Dennoch wirkt sie solide, ist gut verarbeitet und liegt auch gut in der Hand. Manche Fotografen bemängeln, dass die zierliche Kamera in Kombination mit großen Objektiven wie dem 100-400 mm- oder dem 2,8/70-200 mm-Zoom schwer zu halten ist und empfehlen daher dringend den als Zubehör erhältlichen Akku-Handgriff. Ich persönlich mag’s trotz großer Hände lieber klein und leicht und hatte keine Probleme, die a9 auch mit den großen Linsen sicher zu halten.
Das Metallgehäuse ist zwar laut Sony gegen Staub und Spritzwasser abgedichtet, allerdings sicher nicht so umfassend wie die professionellen Nikon- und Canon-Modelle. An den Klappen, hinter denen sich die diversen Anschlüsse, die Speicherkarten sowie der Akku verbergen, fehlen beispielsweise jeweils spezielle Gummilippen. Gegenüber den a7-Modellen hat sich hinsichtlich der Bedienung einiges geändert. So stehen an der a9 zahlreiche Knöpfe zur Verfügung, die sich individuell konfigurieren lassen und so einen direkten Zugriff auf jeweils oft benutzte Funktionen gestatten. Ebenso wie die a7RIII verfügt die a9 über einen Joystick zur Positionierung des AF-Feldes. Zusätzlich gibt es ein Moduswahlrad auf der linken Gehäuseschulter, mit dem sich sowohl die Serienbildrate als auch der AF-Modus einstellen lassen. Es sind zwei Speicherkartenfächer vorhanden (beide SD), von denen eines auch mit den schnellen UHS-II-Karten kompatibel ist. Leider ist es nicht möglich, die Karten kontinuierlich zu beschreiben. Ist eine Karte voll, muss man manuell auf die zweite umschalten, und auch wenn nur ein Fach bestückt ist, erkennt die Kamera das nicht automatisch. Man muss daher der Kamera mitteilen, auf welche Karte gespeichert werden soll.
Die a9 ist mit einem besonders leistungsfähigen Akku ausgestattet. Zudem ist die Kamera so ausgelegt, dass sie möglichst effizient mit Energie umgeht. Offiziell sollen mit einer Akku-Ladung 650 Bilder möglich sein (CIPA-Angabe), tatsächlich aber konnte ich beispielsweise bei Sportveranstaltungen durchaus rund 2.000 Aufnahmen mit einer Ladung machen, während hingegen in der Landschaftsfotografie mit viel LiveView-Nutzung und langen Belichtungszeiten der Strom schon nach 300 bis 400 Bildern zur Neige ging. Das entspricht aber in etwa auch dem, was ich von DSLRs gewohnt bin.
Sucher und Display
Der OLED-Sucher bietet mit einer Auflösung von 3,69 Mio. Bildpunkten reichlich Auflösung. Dank einer Bildwiederholrate von 120/sec, die bei Serienbildaufnahmen auf immer noch stattliche 60/sec fällt, ist das Sucherbild klar und ruhig – auch wenn man die Kamera schwenkt. Selbst bei maximaler Serienbildgeschwindigkeit von 20/sec hat man einen ununterbrochenen Blick aufs Motiv, ohne jegliche Dunkelphase. Das ist mit DSLRs schlicht nicht möglich.
Das 3-Zoll-Display löst 1,44 Mio. Bildpunkte aus und verfügt über eine eingeschränkte Touch-Funktionalität. So kann man beispielsweise mit dem Finger den AF-Punkt wählen und verschieben. Ich fand allerdings, dass das oft sehr träge war und verließ mich daher lieber auf den Joystick. Auch für die Wiedergabe kann man die Touch-Funktion verwenden. Doppelt tippen vergrößert beispielsweise das gezeigte Bild. Hier bleibt aber noch Potenzial für Verbesserungen.
Serienbilder
Nutzt man den mechanischen Verschluss, erreicht die a9 wenig spektakuläre 5 Bilder/sec. Zur Hochform läuft sie bei Verwendung des elektronischen Verschlusses auf. Dann sind 20 Bilder/sec möglich – auch bei Verwendung des kontinuierlichen Autofokus. Die hohe Frequenz lässt sich dank des großzügigen Puffers auch für Aufnahmen im unkomprimierten Raw-Format nutzen (bis zu 128 Bilder in Folge). Ob man freilich immer die maximale Geschwindigkeit benötigt, sei dahingestellt. Ich habe mich meistens mit 10 Bildern/sec begnügt. In kritischen Situationen aber hilft viel durchaus viel, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, genau den einen entscheidenden Moment festzuhalten. Beim ebenfalls wählbaren, komprimierten Raw-Format muss man mit Qualitätseinbußen rechnen. Ein verlustfrei komprimiertes Raw-Format steht nicht zur Verfügung. Damit man angesichts der hohen Frequenz nicht ganz die Kontrolle über die entstehende Bilderflut verliert, ist es, wenn die äußeren Umstände es zulassen, durchaus sinnvoll, das elektronisch generierte Auslösegeräusch einzuschalten. Bei Aufnahmen scheuer Tiere hingegen ist es schon praktisch, lautlos fotografieren zu können. Hat man eine längere Serie aufgenommen und den Pufferspeicher komplett gefüllt, vergeht (bei Verwendung einer schnellen Speicherkarte) ungefähr eine halbe Minute, bis die Daten auf die Karte geschrieben wurden. In der Zeit kann man dann zwar bereits Bilder auf dem Display begutachten, aber leider nicht auf das Menü zugreifen.
Autofokus
Die 693 AF-Messpunkte decken rund 93 Prozent des Sucherbildes ab, und das eröffnet gegenüber den Vollformat-DSLRs einen erheblich vergrößerten Gestaltungsspielraum. Muss das Motiv bei den DSLRs zwangsläufig im mittleren Bereich des Bildausschnitts platziert sein, um von einem AF-Messfeld erfasst zu werden, kann man bei der a9 das Bild auch in dynamischen Szenen unter Nutzung des kontinuierlichen AF praktisch völlig frei gestalten. Die Konfigurationsmöglichkeiten für den AF sind vielfältig, erfordern allerdings eine intensive Einarbeitung, um alle Möglichkeiten auszuloten. Dabei leistet die ziemlich oberflächliche PDF-Bedienungsanleitung leider keine große Unterstützung.
Für die Aufnahme sich bewegender Tiere ist das Tracking sehr hilfreich und in dieser Hinsicht leistet der AF der a9 wirklich gute Arbeit. Wählt man das Fokusfeld »Feld« oder »breit«, erfasst der AF blitzschnell das Motiv und hält es meist sehr zuverlässig in der Schärfe. Im Menü lässt sich in Stufen von 1 bis 5 konfigurieren, wie der AF dabei auf plötzlich im Bild auftauchende »Hindernisse« wie andere Tiere oder (beim Schwenken) Gegenstände reagieren soll. Bei Stufe 1 reagiert der AF kaum auf solche Störungen, bei Stufe 5 springt er recht schnell auf das neu erkannte Ziel. Ich habe mit Stufe 2 gute Erfahrungen gemacht. Wenn man so beispielsweise fliegende Vögel verfolgt und dabei Vegetation ins Bild gerät, lässt sich der AF praktisch nie aus der Ruhe bringen. Bei weniger schneller Action ist es oft besser und präziser, den AF-Punkt mittels Joystick zu bewegen. Die Größe des Messpunktes lässt sich dabei in einem großen Spektrum einstellen.
Insgesamt hat der AF wirklich überzeugt, auch in sehr dynamischen Situationen und bei wenig Licht. Spannend ist natürlich auch die leistungsfähige Gesichtserkennung und der Augen-AF, der erstaunlich zuverlässig die Augen eines Motivs erkennt und die dann auch zuverlässig verfolgt. Aktuell funktioniert das bei Menschen nahezu perfekt, und im Test ging es auch bei Affen oder anderen Tieren mit annähernd menschlichen Gesichtsproportionen oft gut. Mit dem angekündigten Firmware-Update aber soll das auch bei Tieren zuverlässig funktionieren, und dabei wird man sogar wählen können, ob auf das linke oder rechte Auge fokussiert werden soll. Ich hatte die Kamera zu einem Karate-Wettkampf mitgenommen und bei dieser sehr dynamischen Sportart mit schnellen, schwer vorhersehbaren Bewegungen sorgten Gesichtserkennung und auch der Augen-AF für enorm hohe Trefferquoten und ich bin daher jetzt schon sehr gespannt auf die Anpassung des Augen-AF an Tiermotive.
Bildqualität
Der mehrschichtige, rückseitig belichtete Sensor der a9 ist zum einen in der Lage, die Daten auch bei hohen Serienbildraten schnell auszulesen, zum anderen aber soll er auch bei hohen Empfindlichkeitseinstellungen überzeugende Bildresultate zu liefern. Maximal ISO 204.800 lässt sich einstellen, wobei der »reguläre« Empfindlichkeitsbereich von ISO 100 bis 51.200 reicht. In der Praxis erfüllt die a9 die durchaus hohen Erwartungen. Bis ISO 25.600 ist das Rauschen erstaunlich gering, und auch Aufnahmen, die mit ISO 51.200 entstanden, zeigen noch sehr feine Details. Bei vielen Kameras sorgt die erforderliche Korrektur des bei hohen ISO-Werten (meist ab ISO 6.400) starken Farbrauschens für verwaschene Farben. Bei den Bildern der a9 aber ist zum einen das Helligkeitsrauschen bis zur maximalen Empfindlichkeit sehr homogen und feinkörnig und das Farbrauschen ist so gering, dass die Farben bis ISO 51.200 klar und gut differenziert bleiben. Erst bei ISO 102.400 geht die farbliche Brillanz merklich verloren.
Insgesamt eröffnen sich mit der a9 dank der überzeugenden Leistung in den extremen Empfindlichkeitsbereichen spannende Einsatzmöglichkeiten in bis vor nicht allzu langer Zeit »unfotografierbare« Situationen. Aber auch in den niedrigen Empfindlichkeitsbereichen liefert die a9 solide Qualität. Hinsichtlich des Dynamikumfangs bricht sie zwar keine Rekorde, kommt aber gleichwohl auch mit kontrastreichen Motiven gut zurecht.
Herausragendes Zoom
Besondere Erwähnung verdient das FE 4,5-5,6/100-400 mm GM OSS. Das Telezoom ist mit knapp 1.400 Gramm bei 20,5 cm Länge kompakt, leicht und passt somit perfekt zur vergleichsweise zierlichen Kamera. Der AF ist sehr leise und schnell. Selbst in Kombination mit dem 1,4fach-Konverter sind die Leistungseinbußen in der Praxis kaum relevant. Der AF bleibt schnell und auch bei offener Blende liefert das Zoom scharfe Bilder. Die geringe Naheinstellgrenze von knapp einem Meter ermöglicht einen Abbildungsmaßstab von 1:2,8, und auch im Nahbereich sind die Bilder schon bei offener Blende scharf und brillant. Bemerkenswert ist die runde Blendenöffnung, die auch wenn man um zwei bis drei Stufen abblendet, für eine nahezu perfekt runde Abbildung von Lichtreflexen mit entsprechend positiven Auswirkungen auf das Bokeh sorgt. Trotz der nicht besonders hohen Lichtstärke sind mit dem Objektiv daher Bilder möglich, die im Look erstaunlich nah an das herankommen, was man ansonsten von lichtstarken Telefestbrennweiten gewohnt ist.
Fazit
Die a9 ist in jeder Hinsicht extrem schnell. Autofokus, Serienbildfrequenz und erstaunliche Bildqualität bei hohen ISO-Werten machen die Kamera zum idealen Werkzeug für Tier-, Sport- und Actionfotografie unter schwierigen Lichtbedingungen. Auch wenn Menüführung und Ausstattung mit programmierbaren Funktionstasten gegenüber den a7-Modellen erhebliche Verbesserungen erfahren haben, ist die Bedienung durchaus noch gewöhnungsbedürftig und erfordert eine intensive Einarbeitung. Leider liefert das PDF-Handbuch keine umfassende Unterstützung. Die Verwendung echter Highlights, wie den Augen-AF, muss man sich recht mühsam erarbeiten. Noch einige Luft nach oben gibt es sicher auch noch in der Implementierung der Touch-Funktionen beim Display.
Mit kommenden Firmware-Updates ist mit weiteren Verbesserungen beim AF, insbesondere für die Aufnahme sich bewegender Motive zu rechnen und mit der Einführung des Augen-AF für Tiere. Diese Verbesserungen werden auch den anderen Vollformat- und APS-C-Kameras des Herstellers zugute kommen. Damit setzt Sony mit seinen Spiegellosen sicher Maßstäbe auch im Bereich der Tierfotografie, und spielt damit den mehrjährigen Erfahrungsvorsprung gegenüber den Mitbewerbern aus.
Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de