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Das Sigma 4,5-6,3/60–600 mm DG OS HSM | S in der Praxis

Mit dem 4,5-6,3/60-600 mm hat Sigma ein potenziell extrem vielseitiges Objektiv im Angebot, das nicht nur für Tier-, sondern auch für Landschaftsfotografen, die gerne mit langen Brennweiten gestalten, sehr interessant ist. Als Teil der für anspruchsvolle Anwender konzipierten Sports-Serie ist das Zoom robust gebaut, umfassend abgedichtet und soll auch hinsichtlich der Abbildungsleistung keine Wünsche offen lassen. Hans-Peter Schaub hat’s ausprobiert. 

Mit dem von 60 bis 600 mm reichenden Spektrum deckt das neue Sigma-Zoom praktisch alles ab, was aktuell an Telebrennweiten verfügbar ist. Von der weiten Landschaft bis zum winzigen Detail, vom Tier in seinem Umfeld bis zum formatfüllenden Porträt lässt sich so alles mit nur einem Objektiv fotografieren. Das ist mit 2,7 Kilogramm zwar ein ziemlicher Brocken, gleichwohl kann man um dieses eindrucksvolle Zoom herum eine kompakte Ausrüstung zusammenstellen. Ergänzt man das Objektiv um ein 24-70 mm- und/oder 16-35 mm-Zoom ist man mit zwei bis drei Objektiven den meisten fotografischen Aufgabenstellungen gewachsen. Mit rund fünf bis sechs Kilogramm ist eine solche Ausrüstung zwar nicht federleicht, liegt aber dennoch deutlich unter dem Handgepäcks-Limit der meisten Fluggesellschaften. 

In der Hand

Klar, das Sigma-Zoom liegt natürlich schon recht schwer in der Hand. Bemerkenswert ist allerdings, dass das neue Zoom trotz des deutlich größeren Brennweitenbereichs immerhin 160 Gramm leichter und gut zwei Zentimeter kürzer geraten ist als das vergleichbar solide konstruierte 5-6,3/150-600 mm DG OS HSM | Sports. Im Vergleich zur Contemporary-Version des 150-600ers freilich ergibt sich dann schon ein deutlicher Gewichtsunterschied von 770 Gramm.
Wie auch die anderen Objektive der Sports-Reihe ist auch das 60-600 mm hervorragend verarbeitet und – für Naturfotografen wichtig – umfassend gegen das Eindringen von Staub und Feuchtigkeit abgedichtet. Der griffige, spielfrei laufende Fokussierring lässt sich von der Naheinstellgrenze bis Unendlich um 125° drehen, was bei Bedarf auch präzises manuelles Scharfstellen ermöglicht. Der Zoomring wird von der kurzen zur langen Brennweite um rund 122° nach links gedreht. Wie schon bei den beiden 150-600 mm-Modellen kann man auch das 60-600er wahlweise als Dreh- oder Schiebezoom verwenden. Bei niedrigen Außentemperaturen war mir der Drehwiderstand beim Zoomen etwas zu stark. Dafür fährt der Tubus aber auch bei Zimmertemperatur und senkrecht nach unten gerichtetem Objektiv nicht von allein aus. Dem könnte man zudem mit der bei allen Brennweiten greifenden Zoomlock-Taste buchstäblich einen Riegel vorschieben.
Sehr gut hat mir die Stativschelle gefallen. Die rastet beim Drehen sanft in 90°-Schritten ein. Der Fuß ist standardmäßig mit einer Arca-Swiss-kompatiblen Schwalbenschwanzfräsung versehen. Verfügt man über einen entsprechend ausgestatteten Stativkopf, kann man so auf eine zusätzliche Schnellwechselplatte verzichten. Im austauschbaren Fuß befindet sich neben dem üblichen 1/4- auch ein 3/8-Zoll-Gewinde. 
Alle Bedienelemente – Zoom-Lock-Taste, AF-MF-Schalter, Fokusbereichs-Begrenzer, Bildstabilisator und die Wahltaste für die Custom-Einstellungen – befinden sich auf der linken Seite des Objektivs und sind auch mit Handschuhen gut zu verstellen. Selbstverständlich ist auch das 60-600 mm DG OS HSM | Sport mit dem Sigma USB-Dock kompatibel. So lässt sich sowohl der Bildstabilisator, als auch die Fokusbereichs-Begrenzung sehr genau an eigene Bedürfnisse und Gewohnheiten anpassen. Mit den beiden Custom-Speicherplätzen C1 und C2 kann man so – neben der Standardeinstellung – zwei weitere Konfigurationen festlegen. 

Fokussieren

Für Tierfotografen von besonderer Bedeutung ist die Geschwindigkeit und Präzision des Autofokus. Dabei spielt zwar die seitens der Kamera zur Verfügung gestellte Technik die Hauptrolle, dem AF-Antrieb und der Steuerung im Objektiv kommt aber dennoch eine hohe Bedeutung zu. Das Sigma-Zoom schlägt sich sowohl mit älteren AF-Systemen wie in der Canon EOS 50D als auch mit aktueller Technik (EOS 5D Mk IV) achtbar. Der AF arbeitet leise und auch unter schlechten Lichtbedingungen sowie bei geringen Kontrasten zügig. Beim Verfolgen von sich sehr schnell bewegenden Motiven lag die Trefferquote etwas unter der, die sich mit lichtstärkeren Festbrennweiten erzielen ließ. Insgesamt aber überzeugt das Zehnfach-Zoom mit einer soliden Leistung. Eine praktische Besonderheit der aktuellen Sigma-Telezooms ist die MO-Einstellung des Fokus. Wählt man diese, so kann man jederzeit – auch bei kontinuierlichem AF – manuell in die Fokussierung eingreifen. Das empfand ich unter anderem bei sehr kontrastarmen Motiven als hilfreich. Man kann dann den AF – wenn er sein Ziel nicht auf Anhieb findet –  durch einen kurzen manuellen Eingriff schnell wieder auf die Spur bringen. Das gilt auch, wenn sich der AF auf das falsche Motiv konzentriert – beispielsweise ein Tier im Vordergrund, während man selbst ein dahinter positioniertes Motiv scharf ablichten möchte. Interessant sind auch die Qualitäten im Nahbereich. Die Naheinstellgrenze liegt bei der längsten Brennweite bei ungefähr 2,6 Metern. Dabei wird ein maximaler Abbildungsmaßstab von etwa 1:5 erreicht, was durchaus schon schöne Detailaufnahmen gestattet. Reduziert man die Brennweite aber auf 200 mm, kann man sich den Motiven bis auf 60 cm nähern und sie in einem Abbildungsmaßstab von immerhin 1:3,3 aufnehmen. Das reicht oft schon für große Insekten, Schmetterlinge oder Blüten. Verwendet man eine Kamera mit APS-C-Sensor, so lassen sich auch noch kleinere Motive formatfüllend ins Bild setzen. 

Bildstabilisator

Sigma gibt an, dass der Bildstabilisator des 60-600 mm bis zu vier Zeitstufen zu kompensieren vermag. Legt man die »Kehrwert der Brennweite-Regel« zugrunde, sollten bei 600 mm mit etwa 1/40 sec noch unverwackelte Bilder gelingen. Das ist durchaus realistisch. Im Test erzielte ich selbst mit 1/30 sec noch scharfe Bilder, allerdings bei maximaler Serienbildgeschwindigkeit und mit einer Quote von etwa 30 Prozent. Verwendet man das Objektiv an einer Kamera mit APS-C-Sensor, ergibt sich eine etwa um den Faktor 1,5 bzw. 1,6 (Canon) verlängerte effektive Brennweite und entsprechend verkürzte Belichtungszeiten. Meine Grenze für unverwackelte Bilder lag hier mit Trefferquoten um die 50 Prozent im Bereich zwischen 1/50 und 1/60 sec.
Abbildungsleistung
Präziser, schneller AF und ein effektiver Bildstabilisator sind zwar wichtig, um möglichst scharfe Bilder zu erhalten. Die Basis für eine hohe Abbildungsleistung aber bildet die Qualität des optischen Systems. Und auch unter diesem Aspekt vermag das Sigma-Zoom zu überzeugen. Es lässt sich ohne nennenswerte Abstriche über den gesamten Brennweitenbereich bei offener Blende einsetzen. In Kombination mit Vollformatkameras zeigt sich dann zwar über den gesamten Brennweitenbereich eine deutliche Vignettierung. Die aber kann in der Nachbearbeitung einfach korrigiert werden. Aktiviert man beispielsweise in Lightroom das entsprechende Objektivprofil, so verschwindet sie spurlos. Durch das dabei erforderliche Aufhellen kann sich bei höheren ISO-Einstellungen jedoch eine leichte Steigerung des Bildrauschens zu den Rändern hin ergeben. Abblenden auf f/8 bis f/9 reduziert die Vignettierung deutlich. Ab f/11 ist sie dann nicht mehr sichtbar. Andere Abbildungsfehler treten in der Praxis kaum in Erscheinung. In manchen Aufnahmen ließ sich in den Randbereichen eine minimale chromatische Aberration in Form eines dünnen magentafarbenen Saums an Kanten erkennen. Verzeichnung spielt keine Rolle. Allenfalls im mittleren Brennweitenbereich wird bei Motiven mit horizontalen bzw. vertikalen geraden Linien eine ganz leichte kissenförmige Verzeichnung erkennbar. Auch die wird über das entsprechende Objektivprofil problemlos korrigiert. Die Schärfe ist bei allen Brennweiten in der Bildmitte schon bei offener Blende sehr hoch. Bis rund 300 mm trifft das auch auf die Randbereiche zu. Bei den langen Brennweiten und bei der Makroeinstellung (200 mm Brennweite) ist bei offener Blende ein Abfall der Schärfe zu den Rändern erkennbar, der bei 600 mm am stärksten ausgeprägt ist. Schließt man die Blende um zwei Stufen, ist dieser Fehler weitgehend behoben. Allerdings spielt diese Form der Randunschärfe in der Praxis meist keine Rolle, da die Motive eher selten in den äußersten Bildecken platziert werden.

Fazit

Das Sigma 4,5-6,3/60-600 mm DG OS HSM | Sport ist zwar kein Leichtgewicht, dafür aber enorm vielseitig einsetzbar und sowohl für Tier- als auch Landschaftsfotografen sehr interessant. Aufgrund des großen Brennweitenbereichs genügt in vielen Fällen ein weiteres Zoom, um eine den meisten Einsatzbereichen gerecht werdende Ausrüstung zu erhalten und insofern relativiert sich das hohe Gewicht des 60-600ers auch wieder. Der flotte AF und der effektive Bildstabilisator in Verbindung mit der durchgehend hohen Abbildungsleistung sollten auch anspruchsvolle Fotografen zufriedenstellen.

Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de

Sigma 4,5-6,3/60-600 DG OS HSM | S
Aufbau: 25 Elemente/19 Gruppen 
Blendenbereich: 4,5/6,3 – 22/32  
Anzahl Blendenlamellen: 9 
Bildwinkel (diag.): ca. 39,6-4,1° (Kleinbild)  
Naheinstellgrenze: ca. 0,6-2,6 m
Min. Abstand (ab Frontlinse): ca. 0,25-2,10 m 
Max. Abbildungsmaßstab: ca. 1:3,3 (bei 200 mm) 
Filtergewinde: 105 mm
Fokussierung: Ultraschall-AF/MF
Weitere Merkmale: optischer Bildstabilisator (4 Lichtwerte), umfassende Abdichtung gegen Staub und Feuchtigkeit, kann als Dreh- und Schiebezoom eingesetzt werden, Stativschelle rastet in 90°-Schritten (fest eingebaut, abnehmbarer Fuß mit Arca Swiss-Schwalbenschwanz-Fräsung), Streulichtblende und Frontschutz im Lieferumfang, kompatibel  mit Sigma USB-Dock und Anschluss-Konverter MC-11 (Sony-E), Zoom-Lock bei jeder Brennweite, 
Anschluss: Canon EF, Nikon F, Sigma
Abmessungen (mm): ca. 120 (D) x 269 (L) 
Gewicht: rund 2.700 Gramm 
Straßenpreis: ca. 1.900 € 

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