Weitwinkelobjektive mit hoher Lichtstärke sind vor allem bei Reportagefotografen beliebt. Die setzen solche Objektive bei schwierigen Lichtverhältnissen ein oder auch, um mittels selektiver Schärfe Aufmerksamkeit auf wichtige Bildelemente zu lenken. In der Natur-, und hier vor allem in der Landschaftsfotografie mögen viele nicht so recht den Bedarf für extrem hohe Lichtstärken bei Weitwinkelobjektiven erkennen. Landschaften werden meist mit eher kleinen Blendenöffnungen fotografiert, um möglichst viel Schärfentiefe zu erzielen. Zudem muss die Ausrüstung ja oft über Berg und Tal geschleppt werden, und da überlegt man sich gut, ob man sich einen so schweren Klotz wie das knapp ein Kilo schwere Sigma 20 mm F/1,4 DG HSM | Art in den Rucksack packt oder nicht doch lieber beispielsweise ein knapp halb so schweres 4/17-40 mm Zoom, das gleich mehrere Weitwinkelfestbrennweiten ersetzt und bei Bedarf auch noch den größeren Bildwinkel bietet.
Vorzüge hoher Lichtstärke
In der Praxis wird man allerdings häufig feststellen, dass 20 mm an der Kleinbild-DSLR eine äußerst vielseitige Weitwinkelbrennweite ist, mit der man ein Zoom nur selten vermisst. Und wenn man erst einmal entdeckt hat, dass sich selbst in der Landschaftsfotografie – vor allem auch bei kleineren Details – selektive Schärfe sehr schön als Gestaltungsmittel einsetzen lässt, wächst die Bereitschaft, das beachtliche Zusatzgewicht einfach zu ignorieren. Wer dann schließlich nicht nur tagsüber, sondern gerne auch mal nachts Landschaften fotografieren möchte, wird das außergewöhnliche Sigma-Weitwinkel vermutlich sogar ins Herz schließen. Andere Weitwinkel gleicher Lichtstärke begnügen sich mit Brennweiten von 24 oder 35 mm. Das 20er aber liefert einen erheblich größeren Bildwinkel und den kann man bei Aufnahmen von Landschaften unterm Sternenhimmel gut gebrauchen. Dabei sorgt die große Öffnung für ein helles Sucherbild beziehungsweise für ein recht klares Bild auf dem Display im LiveView-Modus. Das erleichtert die Gestaltung und – ganz wichtig – präzises Fokussieren. Da man ja nachts in der Regel mit Blenden zwischen f/1,4 und f/4 fotografiert, um bei mäßig hohen ISO-Werten möglichst kurze Belichtungszeiten zu erzielen, kommt dem genauen Fokussieren eine hohe Bedeutung zu. Zu lange Belichtungszeiten lassen Sterne zu Leuchtspuren mutieren und fördern zudem das Bildrauschen beträchtlich.
Das Objektiv
Sehr gut gefallen hat mir die Verarbeitung und Haptik des Objektivs. Der Fokussiering läuft angenehm mit ausreichendem Widerstand. Von der Naheinstellgrenze bis Unendlich muss man ihn um rund 140 Grad (nach links) drehen – ausreichend für gefühlvolles manuelles Scharfstellen. Fokussieren lässt sich bis auf etwa 10 cm vor der Frontlinse. So kann man auch kleinere Details (maximale Bildbreite etwa 22 cm) im Weitwinkel-Look abbilden. Anders als viele aktuelle Objektive, ist das Sigma-Weitwinkel leider nicht speziell gegen Staub- und Spritzwasser abgedichtet. Etwas Vorsicht ist also geboten, wenn man bei Schmuddelwetter fotografieren geht.
Abbildungsleistung
Das Sigma 20 mm F/1,4 DG HSM ist schon ein imposanter Brocken. Die große Frontlinse ist recht stark nach vorne gewölbt, weshalb keine konventionellen Filter verwendet werden können. Derzeit sind mir zwar noch keine passenden Halter der einschlägigen Hersteller bekannt, aber es ist davon auszugehen, dass Lee, Haida, Rollei und Co. in absehbarer Zeit auch für dieses Objektiv entsprechende Lösungen anbieten werden. Wer in der Landschaftsfotografie häufig Neutralgrau- oder Grauverlaufsfilter einsetzt, wird mit dem Objektiv zumindest derzeit also noch wenig Freude haben.
Abgesehen davon aber gibt es wenig zu nörgeln. Die Abbildungsleistung ist exzellent. So liefert das Objektiv schon bei offener Blende eine sehr ordentliche Schärfeleistung, die zu den Rändern leicht, aber sehr sanft abfällt und daher bei vielen Motiven unbedeutend wird. Die Vignettierung ist zwar bei offener Blende deutlich, aber auch nur bei Aufnahmen von homogenen Flächen, wie einem wolkenlosen Himmel sichtbar. Sie lässt sich zudem recht problemlos mithilfe des entsprechenden Profils in Lightroom ebenso gut beseitigen, wie die minimale chromatische Aberration. Ebenfalls gering – zumal angesichts der kurzen Brennweite – ist die Verzeichnung. Ganz leicht tonnenförmig werden gerade Linien verzerrt. In der Naturfotografie ist das wohl nur in den seltensten Fällen relevant. Blendet man auf f/2,8 bis f/4 ab, sind sowohl Randunschärfen als auch Vignettierung praktisch bedeutungslos.
Fazit
Das lichtstarke 20er von Sigma ist ein sehr gutes, derzeit einzigartiges Objektiv, das mit hervorragender Verarbeitung und hohen Abbildungsleistungen überzeugt. Wer gerne mit leichtem Gepäck durchs Gelände streift, vor allem tagsüber weite Landschaften einfangen möchte und daher ohnehin meist mit kleiner Blende vom Stativ arbeitet, ist gleichwohl mit einem lichtschwächeren Objektiv, eventuell einem Zoom, besser bedient. Fotografen aber, die auch bei Verwendung starker Weitwinkelobjektive gerne mit selektiver Schärfe gestalten möchten und solche, die bei Mond- oder Sternenlicht auf Motivsuche gehen, werden es zweifellos zu schätzen wissen. Zwei bis drei Blendenstufen lichtstärker als andere Objektive in diesem Brennweitenbereich erweitert es gerade in der nächtlichen Landschaftsfotografie den Spielraum für kürzere Zeiten beziehungsweise niedrigere ISO-Werte.
Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de