Schnellstarter


Die Parrot Anafi in der Praxis

Der französische Hersteller Parrot hat sich unter anderem mit eher der Spielzeugsparte zuzuordnenden Fluggeräten wie dem »Bebop« einen Namen gemacht. Die Anafi ist die erste Drohne der Franzosen, die auch anspruchsvolle Fotografen und Filmer ansprechen soll. Ob sie dem Anspruch gerecht wird, verrät Hans-Peter Schaub in seinem ausführlichen Praxisbericht.  

Der erste Eindruck: Ist die aber klein – und leicht – und zerbrechlich? Letzteres mag so scheinen, trifft aber nicht zu. Die schlanke Anafi ist dank reichlicher Verwendung von Karbonfasern beim Gehäuse in der Tat zwar mit 320 Gramm sehr leicht geraten, aber dennoch ziemlich robust. Der kleine Copter kommt in einem stabilen Transportbehälter, den man ganz prima neben der Fotoausrüstung im Rucksack verstauen kann. Im Vergleich zum Fluggerät, das zusammengefaltet rund 24 cm lang und 6,5 cm breit ist, nimmt sich der Controller geradezu klobig aus. Aber auch der ist gut verarbeitet und solide. Etwas besser verpacken ließe er sich freilich, wären die Steuerknüppelchen abnehmbar.

Up and away

Die ersten Schritte mit dem Anafi sind unkompliziert. FreeFlight 6-App installieren, Smartphone in den Controller klinken und beide per Kabel verbinden. Die App startet dann automatisch. Drohne auseinanderfalten und einschalten. Innerhalb weniger Sekunden wird sie erkannt. In der Regel – zumindest im Test war das so – wird ein Update der Firmware erforderlich sein. Das funktioniert nach Bestätigung des entsprechenden Hinweises auf dem Smartphone-Display flott und automatisch. Danach kann’s schon losgehen. Der Start erfolgt durch einen Tipp auf den »Take-off«-Button in der App. Alternativ kann man sich auch für den »Hand-Launch« entscheiden. Dann lässt man die Drohne aus der flachen Hand starten, was insbesondere bei nassem Untergrund oder bei Schnee sicher die empfehlenswerte Alternative ist. Auch landen lassen kann man sie in der Hand oder sie einfach aus der Luft »pflücken«. 
Nach Betätigen des »Take-Off«-Buttons hebt die Anafi ab, schwebt dann einen Meter über dem Boden und wartet auf Befehle. Startet man  mit den Werkseinstellungen, stellt man schnell fest, dass die Drohne recht träge reagiert, sich behäbig dreht und auch ziemlich langsam steigt und sinkt. Das kann man in der App aber, nachdem man sich erst einmal ein paar Runden eingeflogen hat, leicht anpassen. Richtig flott geht’s im Sportmodus zur Sache. Bis zu 55 km/h erreicht der Winzling in der Spitze. 
Der Controller ist einfach gehalten, verfügt aber natürlich über die erforderlichen Bedienelemente. Programmierbare Tasten oder auch Einstellräder, etwa für die Belichtungskorrektur, fehlen allerdings.
Die WiFi-Funkverbindung war über Distanzen von 300 bis 400 Metern in der Regel stabil. In Stadtnähe kam es gelegentlich zu Verbindungsabbrüchen, was einem schon mal den Schweiß auf die Stirn treiben kann. Durch eine Verkürzung der Distanz, das Initiieren des 
Return-to-home-Modus oder auch einen Neustart der App ließ sich das jedoch immer wieder beheben.
Das Fluggeräusch ist dezent und schon in rund 40 Metern Entfernung kaum noch vernehmbar. Aus der Nähe freilich hört sie sich schon an wie eine etwas zornige Wespe.
Neben dem Flugverhalten empfiehlt es sich auch die Distanzen in der App anzupassen. Die Höhe wird man angesichts der hierzulande geltenden Bestimmungen auf 100 Meter setzen, die maximale Distanz hatte ich meist auf rund 350 Meter stehen, denn in Deutschland gilt ja, dass man sein Fluggerät jederzeit ohne Hilfsmittel sehen können muss, und das wird schwer bei noch größeren Entfernungen. Wichtig ist die Mindesthöhe für »Return to Home« (RTH). Fliegt man auf freiem Feld, kann man es bei den werksseitig eingestellten 20 Metern belassen, in hügeligem oder waldigem Gelände aber sind mindestens 40 Meter empfehlenswert. 
Die Anafi verfügt über keine Sensoren zur Hindernis-Erkennung und kracht daher ungebremst in jeden Baum oder Fels, der ihr auf dem Flug nach Hause im Weg steht. 
Positiv ist die Flugzeit. Rund 25 Minuten bleibt die Drohne mit einer Akku-Ladung in der Luft und selbst bei -3° C konnte ich noch 21 Minuten fliegen.

In der Luft

Die Anafi steht sehr stabil in der Luft. Auch Windgeschwindigkeiten bis etwa 35 km/h bringen sie nicht aus der Ruhe. Allerdings war ab und zu ein leichtes Abdriften zu beobachten. Das ist beim Flug auf Sicht über ebenem Gelände nicht weiter dramatisch. Anders sieht das aus, wenn man beispielsweise im Wald fliegen möchte. 

Kamera und Gimbal

Das 4 mm-Objektiv der Anafi-Kamera entspricht ungefähr einem 23 mm-Kleinbild-Weitwinkel. Der 21 Megapixel-Sensor hat 1/2,4-Zoll-Format, der damit verwirrenderweise noch etwas kleiner ist als der beispielsweise in der Mavic Air verwendete 1/2,3-Zoll-Sensor (12 Megapixel). Die hohe Auflösung des kleinen Sensors ist dem Umstand geschuldet, dass die Anafi, anders als die Mavic, nicht über einen 3- sondern lediglich über einen 2-Achs-Gimbal verfügt. Die dritte Achse wird elektronisch stabilisiert und dazu bedarf es eben der hohen Auflösung. Selbst bei 4K-Videos funktioniert das gut, nicht aber bei Fotos. Da arbeitet dann lediglich der mechanische 2-Achs-Gimbal, und das macht sich bei langen Belichtungszeiten deutlich bemerkbar. Bereits ab 1/25 sec waren oft verwackelte Aufnahmen zu verzeichnen. Länger als 1/8 sec kann man daher kaum belichten und schon da empfiehlt es sich, jeweils vier bis fünf Aufnahmen zu machen, um einigermaßen sicher zu gehen, dass wenigstens ein scharfes Bild dabei ist. 

Video

Die Anafi kann sowohl Cinema 4K (4.096 x 2.160 Pixel/17:9 mit 24 fps) und Ultra HD (3.840 x 2.160 / 16:9 mit 24 oder 30 fps) sowie Full HD mit maximal 60 fps aufzeichnen und erreicht dabei eine Datenrate von bis zu 100 MBit/sec. Möchte man die Videos nicht umfassend nachbearbeiten (z.B. Colour Grading), kann man den Standard-Modus wählen, ansonsten sollte man sich für den Log-Modus entscheiden, mit dem sich ein deutlich höherer Kontrastumfang erfassen lässt, allerdings eben mit der »Pflicht« zur Nachbearbeitung. Der ebenfalls verfügbare HDR-Modus ist nicht empfehlenswert. Knallige Farben, unnatürlich aufgehellte Schatten und verstärktes Rauschen kennzeichnen die damit aufgenommenen Videos. Überzeugend ist die Option des – ebenfalls dank der hohen Auflösung möglichen – verlustfreien Zoomens (1,4fach bei 4K, 2,8fach bei Full HD). Das erweitert die gestalterischen Möglichkeiten beträchtlich. Interessant für Filmaufnahmen ist auch der um 90 Grad nach oben neigbare Gimbal. Auch der lässt sich schön für ungewöhnliche Filmeffekte nutzen, etwa wenn man an Felswänden oder Bäumen entlang aufsteigt und dabei den insgesamt über 180 Grad reichenden Verstellweg des Gimbal nutzt.

Fotografie 

Das Fotografieren steht für mich persönlich beim Einsatz von Drohnen eindeutig im Vordergrund und auch in dieser Disziplin schlägt sich die Anafi mit einigen Abstrichen ganz passabel. Aufnahmen können im JPG- oder DNG-Raw-Format erfolgen. JPG allerdings ist bei der Anafi keine sinnvolle Option. Schon bei ISO 100 vernichtet die Rauschunterdrückung viele feine Details. Mit zunehmender Empfindlichkeit gleichen die Bilder immer mehr einem mit breitem Pinsel gemalten Aquarell. Brauchbare Bilder erfordern daher das DNG-Format. Das allerdings hat den Nachteil, dass die Bilder ohne Korrektur der erheblichen tonnenförmigen Verzeichnung des Objektivs auf der Speicherkarte landen. In Lightroom lässt sich das mit dem hinterlegten Profil einfach korrigieren. Empfindlichkeiten jenseits von ISO 400 sollte man möglichst vermeiden. Daher ist es auch sinnvoll, die Belichtungseinstellungen nicht der Automatik zu überlassen, sondern sie in der App selbst einzustellen. 
Der Dynamikumfang des Sensors bricht erwartungsgemäß keine Rekorde. Daher sollte man unbedingt möglichst hell belichten, um ein nachträgliches Aufhellen der Schatten so weit es geht zu vermeiden. Bei zu hohen Kontrasten kann man ganz gut mit der HDR-Technik arbeiten. Man stellt dazu in der App das Bracketing zum Beispiel auf +2 | 0 | -2 LW ein, macht drei Bilder und verrechnet die dann hinterher zum HDR-Bild. Meist steht die Drohne ausreichend ruhig, damit das Überlagern gut und ohne Artefakte gelingt.

Fazit

Die Anafi ist kompakt, handlich und einfach zu bedienen. Angenehm ist, im Vergleich zu den DJI-Drohnen, dass man ohne Kommunikation zu Servern in China und manchmal nicht gerechtfertigten Startverweigerungen aufgrund angeblicher No-Fly-Zones abheben kann. Das fordert natürlich zwingend verantwortungsbewusstes Handeln seitens des Piloten. 
Die Flugzeit ist mit rund 25 Minuten für eine Drohne dieser Größe sehr gut. Ist reichlich Licht vorhanden, ist die Qualität der Fotos und Videos ordentlich und dürfte auch hohe Ansprüche zufriedenstellen. Kritisch wird es bei wenig Licht. Längere Belichtungszeiten als etwa 1/8 sec bei Fotos lassen sich aufgrund des lediglich in zwei Achsen stabilisierenden Gimbals nicht nutzen und jenseits ISO 400 sind die Bilder kaum mehr zu gebrauchen. Insgesamt aber bietet die Anafi für rund 600 € eine Menge und eignet sich gut als schnell und spontan einsetzbare Immer-dabei-Drohne, die neben einer Fotoausrüstung ihren Platz in jedem Fotorucksack finden dürfte.

Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de

Parrot Anafi
Akku: 2.700 mAH / 7,6 V / 20,52 Wh
Flugzeit/Akkuladung: ca. 25 min.
Fernsteuerung Skycontroller 3: ohne eigenes Display aber mit Smartphone-Halterung (bis 6,2 Zoll-Displaygröße), Transmission über Wi-Fi 802.11a/b/g/n
Reichweite Videoübertragung / Steuersignal: max. 4 km, Live Stream 720p
Videolink Frequenzband: 2,4 bis 5,8 GHz
Max. Geschwindigkeit: ca. 55 km/h 
Max. vertikale Geschw.: 4 m/sec
Max. Windwiderstand: 50 km/h
Max. Einsatzhöhe: 4.500 m üNN
Max. Temperaturbereich: -10° bis +40°C
Flugfunktionen: Smart Dronie, Follow me und Flugplan (jew. In-App-Kauf), diverse Cine-Shots (Reveal, Epic, Rise), Dolly Zoom, Return To Home 
Bildsensor: 1/2,4 Zoll-CMOS (5,92 x 4,57 mm / Beschnittfaktor bez. auf Kleinbild: ca. 5,8), 5.344 x 4.016 Pixel, Auflösung (effektiv): 21 Mio. Pixel
Objektiv: Fixfokus 2,4/4 mm (23 mm kleinbildäquivalent, verlustfreie Digitalzoom-Funktion 26-78 mm (Foto), 23-69 mm Video, Schärfentiefe von 1,5 m bis Unendlich 
ISO: 100 – 3.200
Belichtungszeiten: 1/10.000 – 1 sec 
Dateiformate (Bild): DNG-Raw, JPEG
Dateiformate (Video): MP-4 (H.264), 4K DCI (17:9, 4.096 × 2.160 Bildpunkte mit 30 fps) 4K/UHD (3.840 x 2.160 Bildpunkte mit 24/25/30 fps), Full HD (1.920 x 1.080 Bildpunkte mit 24-60 fps), HDR-Video
Speichermedien: microSD Class 10 
Kamerahalterung: 3-Achs-Gimbal (2 Achsen mechanisch, 1 Achse elektronisch), 90° nach oben und unten neigbar
Weitere Funktionen: Hyperlapse, Zeit­lupe, Panorama-Modi (Ext. Version)
Weitere Merkmale: GPS/Glonass, kein Sensor zur Kollisionsvermeidung, kann aus der Hand gestartet werden, Aufladen über USB C (z.B. über Powerbank) möglich, konfigurierbares Geofencing, Find-my-Drone-Funktion
Abmessungen (T x B x H):
244 mm x 67 mm x 65 mm (gefaltet)
Startgewicht: rund 320 Gramm
Straßenpreis: ca. 600 € (Set aus Copter + Fernbedienung, Tasche und 8 Ersatzrotoren, 16 GB-microSD-Karte), Extended-Version (inkl. 3 Akkus, mehr Foto- und Video-Funktionen, Tasche und Ersatzpropopeller) kostet rund 800 €, Ersatz-Akku kostet einzeln rund 90 €

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