Weite auf engstem Raum


Das Sigma 12-24 mm F4 DG HSM | Art in der Praxis

Sigma hat jahrzehntelange Erfahrung in der Konstruktion extremer Weitwinkel­objektive. Dem japanischen Unternehmen gelang es dabei immer wieder, Objektive zu entwickeln, die im positiven Sinne aus dem Rahmen fielen. Das neue 12-24 mm ist wieder so eines. Extreme Bildwinkel bei konstanter Lichtstärke bietet das Zoom – ideal für weite, offene Landschaften, Sternhimmel oder die finstere Enge eines Waldes. Hans-Peter Schaub hat das Objektiv im westafrikanischen Regenwald einem intensiven Praxistest unterzogen.

Mit dem 12-24 mm F4 DG HSM | Art kommt nun bereits das dritte Zoom mit diesem Brennweitenbereich von Sigma. Die jüngste Variante ist allerdings nun mit einer über den gesamten Brennweitenbereich konstanten Anfangsöffnung f/4 ausgestattet. Die älteren Modelle waren mit der variablen Blende f/4,5-5,6 weniger lichtstark, allerdings dafür auch erheblich leichter. Das derzeit noch erhältliche 12-24 mm F 4,5-5,6 DG HSM II wiegt mit 670 Gramm etwas mehr als halb so viel wie das neue Modell (1.150 Gramm).

In der Hand

Solch ein Klotz von einem Objektiv verlangt auch nach einer massiven Kameras. Mit einem zierlichen APS-C-Modell entsteht eine sehr unausgewogene, kopflastige Kombination. Zudem ergibt die Verwendung an Kameras mit dem kleinen Sensor meines Erachtens ohnehin keinen Sinn, denn wer hier viel Weitwinkel benötigt, ist mit einem speziell fürs APS-C-Format gerechneten 10-20 oder 10-24 mm-Zoom besser bedient, hat mehr Weitwinkel zur Verfügung und muss zudem deutlich weniger schleppen.
Das Sigma-Zoom ist für Kameras mit Sensoren im Kleinbildformat gemacht und mit solch einer Kamera lässt es sich – etwa bei Reportagen – auch sehr gut aus der Hand einsetzen. Landschaftsfotografen hingegen werden eine mit dem Zoom bestückte Kamera üblicherweise vom Stativ verwenden.
Das Objektiv ist ein weiteres Mitglied der für anspruchsvolle Fotografen vorgesehenen „Art“-Baureihe. Griffige Zoom- und Einstellringe, die sich absolut spielfrei drehen lassen, ein solides Messingbajonett und die stabile, fest mit dem Objektiv verbundene Streulichtblende vermitteln schon haptisch einen sehr positiven Eindruck.
Am Bajonett befindet sich eine Gummilippe, die das Eindringen von Schmutz und Feuchtigkeit verhindern soll. Weitere Dichtungen sind allerdings nicht vorhanden. Unter den doch etwas extremen Bedingungen des Regenwaldes kam es so zuweilen vor, dass das Objektiv auch innen beschlug. Das lässt sich selbst bei umfassender abgedichteten Objektiven nicht ganz vermeiden, gleichwohl zeigte sich das Sigma-Zoom da etwas anfälliger.
Sowohl die weit nach vorn gewölbte Front- als auch die Hinterlinse sind mit einer wasser- und ölabweisenden Vergütung versehen. Da sich die Frontlinse nicht durch einen Filter schützen lässt, muss man sich beim Einsatz des Zooms unter extremen Bedingungen auf diese robuste Vergütung verlassen. Häufiges Beschlagen der Linse in der hohen Luftfeuchtigkeit, Kontakt mit nasser Vegetation oder auch klebrigen Spinnennetzen konnten der Vergütung nichts anhaben. Alle Verschmutzungen ließen sich problem- und spurlos mit einem weichen Mikrofasertuch entfernen. Die Frontlinse peinlich sauber zu halten ist bei diesem Objektiv auch besonders wichtig. Die große Schärfentiefe sorgt dafür, dass Krümel oder Tropfen auf der Linse schon bei moderat geschlossener Blende im Bild sichtbar werden. Insbesondere, wenn man direkt ins Gegenlicht fotografiert, kann jedes Stäubchen für störende helle Flecken im Bild sorgen. Ich habe mir daher angewöhnt, vor allem bei Gegenlichtaufnahmen noch mal kritisch auf die Frontlinse zu schauen und gegebenenfalls mit einem Blasebalg oder dem schon erwähnten Mikrofasertuch für klare Sicht zu sorgen.

Fokussieren

Das Objektiv ist mit einem neu entwickelten Ultraschall-AF-Antrieb ausgestattet. Der ist größer und läuft mit höherer Drehzahl, schließlich muss er ja auch erheblich mehr Gewicht bewegen. Der Antrieb ist praktisch geräuschlos, schnell und sehr zuverlässig – auch bei wenig Licht und geringen Motivkontrasten. Manuelles Fokussieren funktioniert mit dem zwar etwas schmalen, aber doch sehr griffigen Einstellring problemlos. Der Verstellweg vom Nahbereich bis Unendlich beträgt rund 110°. Für meinen Geschmack dürfte der noch ein bisschen länger sein, aber dank dem relativ strammen Drehwiderstand, kann man doch ausreichend präzise Scharfstellen.
Die Naheinstellgrenze liegt bei lediglich 24 cm, was einen maximalen Abbildungsmaßstab von knapp 1:5 erlaubt. Das Motiv befindet sich dann nur etwa 11 cm vor der Frontlinse. Das ermöglicht Bilder mit erstaunlicher Tiefenwirkung, denn so kann man die Bilder vom Nahbereich bis in die Ferne staffeln. Mit sorgfältig eingestellter Schärfe lässt sich dabei durchaus auch der Eindruck einer sich übers gesamte Bild erstreckenden Schärfentiefe erzeugen.
Am langen Ende des Brennweitenbereichs, ab etwa 20 mm kann – insbesondere im Bereich zwischen der Naheinstellgrenze und etwa zwei bis drei Metern Entfernung und bei relativ großen Blendenöffnungen (f/5,6 bis f/8) – ein Problem mit der sogenannten Fokusdifferenz auftreten.
Die gewaltige Frontlinse weist offenbar noch einen Rest sphärischer Aberration auf. Randnahe Strahlen werden anders gebrochen als solche, die durch die mittleren Bereiche der Linse verlaufeb und sie treffen sich daher nicht exakt am gleichen Punkt. Der Bereich maximaler Schärfe befindet sich bei offener Blende daher nicht im Brennpunkt, sondern dort, wo das Strahlenbündel den geringsten Durchmesser aufweist. Durch Schließen der Blende werden die Randstrahlen ausgeblendet und die zentralen Strahlen können sich idealerweise in einem Brennpunkt treffen, der dann auch die Lage der Schärfenebene markiert. Je weiter man dann die Blende schließt, umso weiter verlagert sich der Brennpunkt (und damit die Schärfenebene) zum Sensor hin. Bei perfekt korrigierter sphärischer Aberration hat die Größe der Blendenöffnung keinen Einfluss auf die Lage der Schärfeneben, beim Sigma-Zoom ist das eben im längeren Brennweitenbereich nicht der Fall. Ab f/11 sorgt in den allermeisten Fällen die dann große Schärfentiefe auch im Nahbereich dafür, dass der Effekt keinen sichtbaren Einfluss hat. Bei den kurzen Brennweiten zwischen 12 und 20 mm konnte ich in der Praxis keinerlei derartige Probleme feststellen. Wer das Objektiv in der Landschaftsfotografie und dann ja oft mit Blenden zwischen f/8 und f/16 vom Stativ einsetzt, wird daher wohl kaum je über diesen Fehler „stolpern“.

Abbildungsleistung

Insbesondere zwischen 12 und 16 mm liefert das Objektiv sehr gute Resultate. Die Schärfe ist schon bei offener Blende gut und fällt nur leicht zu den äußersten Ecken hin ab. Schließt man die Blende auf f/5,6 bis 8 verschwindet auch die Rand­unschärfe. Im Bereich zwischen 20 und 24 mm ist die Schärfe bei Blenden zwischen f/4 und f/5,6 zwar immer noch ordentlich, insgesamt aber weniger knackig als bei den kurzen Brennweiten. Schließt man die Blende allerdings auf f/8 erreicht das Zoom wieder sehr gute Werte. Ich habe das Objektiv meist mit der Canon EOS 5D Mark IV verwendet (ca. 30 MP). Dabei zeigte sich ab f/11 ein geringer Schärfeabfall durch Beugungseffekte. Allerdings waren auch mit f/16 aufgenommene Bilder uneingeschränkt verwendbar. Erst bei der kleinstmöglichen Blende f/22 erscheinen die Bilder merklich weich und erfordern daher eine etwas kräftigere Scharfzeichnung in der Nachbearbeitung.
Sehr gut ist die Vignettierung korrigiert. Die ist bereits bei offener Blende für ein Objektiv dieser Brennweite erstaunlich gering und bei den meisten Motiven bereits bei f/5,6 nicht mehr wahrnehmbar. Hervorragend korrigiert ist auch die chromatische Aberration, die sich in Form farbiger Säume an Kanten bemerkbar macht. Bei diesem Objektiv muss man sich aber schon in die 200-Prozent-Ansicht hineinzoomen, um zarte Farbsäumchen zu entdecken. Viele Weitwinkelobjektive, insbesondere Superweitwinkelzooms, zeigen recht deutliche Verzeichnungen in Form gekrümmter Wiedergabe eigentlich gerader Linien. Das Sigma-Zoom bildet weitgehend verzeichnungsfrei ab. Im kurzen Brennweitenbereich ist eine zum Rand hin in Erscheinung tretende, minimal tonnenförmige Verzeichnung erkennbar und ab etwa 20 mm tritt eine sehr geringe kissenförmige Verzeichnung auf. In der Praxis allerdings dürfte das selbst bei kritischen Architekturmotiven kaum von Bedeutung sein.

Fazit

Leicht und kompakt ist es nicht, das Superweitwinkelzoom von Sigma. Dafür liefert es allerdings, vor allem am kurzen Ende des Brennweitenbereichs hervorragende Bildresultate mit praktisch nicht erkennbarer Verzeichnung und sehr guter Schärfe. Setzt man das Objektiv – wie in der Landschaftsfotografie üblich – bei mittleren bis kleinen Blenden vom Stativ aus ein, lässt sich über den gesamten Brennweitenbereich eine sehr gute Bildqualität erzielen. Das im Test provozierbare Problem der Fokusdifferenz hat meines Erachtens in der praktischen Landschaftsfotografie keine Relevanz und schränkt die Verwendbarkeit des Objektivs daher auch nicht ein. Unter extremen Bedingungen kann eventuell die nicht umfassende Abdichtung des Zooms kritisch sein. Aufgrund der weit vorgewölbten Frontlinse ist man bei der Verwendung von Filtern auf spezielle Adapter angewiesen, die natürlich wiederum zusätzliche Kosten verur­sachen. Das Problem stellt sich allerdings bei allen vergleichbaren Objektiven. Unterm Strich liefert das Sigma-Zoom enorm viel Weitwinkel in hoher Qualität zu einem vergleichsweise günstigen Preis.

Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de

Eine imposante Erscheinung
Extremer Bildwinkel, gute Abbildungsleistung und über den gesamten Brennweitenbereich, hohe Verarbeitungsqualität und konstante Blende führen zu recht eindrucksvollen Abmessungen und einem Gewicht von deutlich über einem Kilogramm. Die weit vorgewölbte Frontlinse sorgt zudem dafür, dass sich Filter nur mit speziellen Halterungen einsetzen lassen. Die Streulichtblende ist fest eingebaut.

Sigma 12-24 mm F4
DG HSM | Art
Aufbau: 16 Elemente/11 Gruppen
Blendenbereich: 4 - 22  
Anzahl Blendenlamellen: 9
Bildwinkel (diag./KB): 122° – 84° 1’
Naheinstellgrenze: ca. 24 cm
Min. Abstand (ab Frontlinse): ca. 11 cm
Max. Abbildungsmaßstab: ca. 1:4,9
Filtergewinde:
Fokussierung: Ultraschall-AF/MF
Weitere Merkmale: fest angebaute Streulichtblende, wasser- und ölab­weisende Beschichtung der Rück-
und Frontlinse, kompatibel mit Sigma-
USB-Dock, Innenfokussierung,
Anschluss ist gegen Staub und Spritzwasser abgedichtet, geeignet für
Sigma-Anschluss-Wechselservice
Anschlüsse: Canon EF, Nikon F,  Sigma SA
Abmessungen (mm):
ca. 102 (D) x 131,5 (L)
Gewicht: rund 1.150 Gramm
Straßenpreis: ca. 1.750 €

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