Die meisten Makroobjektive weisen Brennweiten zwischen 90 und 105 Millimetern auf. Dann gibt es noch die längeren Makroteles zwischen 150 und 200 mm sowie einige, vor allem für APS-C- oder MFT-Sensoren gerechnete 60 mm-Ausführungen. Mit seinen 70 vollformattauglichen Millimetern nimmt das Sigma 70 mm F2,8 DG Macro | Art also allein aufgrund der Brennweite eine Sonderstellung ein.
Fotografen, die mit ihrer Kamera Schmetterlingen, Libellen oder anderen scheuen kleinen Tieren nachstellen, bevorzugen aufgrund deren Fluchtdistanz meist die längeren Brennweiten. Bei Motiven ohne Beine oder Flügel aber – Pflanzen und Pilze zum Beispiel – spielt die Brennweite eine weniger entscheidende Rolle. Hier kann der größere Bildwinkel kurzer Brennweiten sogar durchaus willkommen sein, um beispielsweise etwas mehr Umfeld in die Komposition einzubeziehen.
Verwendet man das Objektiv an einer Kamera mit APS-C-Sensor, entspricht das 70er (bei einem Beschnittfaktor von 1,5) 105 mm und damit wieder der im Kleinbildbereich beliebtesten Makro-Brennweite. Setzt man hingegen ein echtes 105 mm-Makro vor eine APS-C-Kamera, erhält man effektiv gut 150 mm – für viele Motive schlicht zu viel. Insofern sind 70 mm Brennweite für ein Makroobjektiv also in mancherlei Hinsicht interessant und es überrascht daher auch nicht, dass ausgerechnet das 70er Sigmas erstes Makroobjektiv der Art-Serie ist.
In der Hand
Das Objektiv ist, wie man das von der Art-Serie gewohnt ist, sorgfältig verarbeitet. Der äußere Tubus besteht aus Metall, innen findet hochwertiger Kunststoff Verwendung. Am Metallbajonett befindet sich eine Gummilippe, die das Eindringen von Feuchtigkeit verhindern soll. Die recht kleine Frontlinse ist weit hinter dem 49 mm-Filtergewinde angeordnet und damit schon gut vor mechanischen Schädigungen geschützt. Im Lieferumfang ist zudem selbstverständlich auch eine Streulichtblende enthalten.
Über einen optischen Bildstabilisator verfügt das Makroobjektiv nicht. Der ist im extremen Nahbereich ohnehin nur bedingt effektiv und nützlich, zumal – etwa beim Fotografieren von Pflanzen – auch häufig die vom Wind verursachte Bewegung des Motivs das größte Problem darstellt. Allerdings sind mittlerweile ja auch viele Kameras mit einem auf Sensor-Shift basierenden Stabilisator ausgestattet, wodurch die Funktion dann bei Bedarf auch zur Verfügung steht.
Fokussierung
Der Fokussierring ist breit und griffig. Möchte man manuell von Unendlich an die Naheinstellgrenze fokussieren, muss man diesen Ring ganze zweieinhalbmal drehen. Der Antrieb erfolgt auch beim manuellen Fokussieren nicht mechanisch, sondern elektronisch (Focus-by-wire), weshalb man bei ausgeschalteter Kamera auch nicht fokussieren kann. Gerade für das manuelle Scharfstellen ist der enorm lange Verstellweg höchst willkommen. Greift man beim Scharfstellen noch auf die im LiveView-Modus bei DSLRs oder bei Spiegellosen ohnehin verfügbaren Einstellhilfen wie Sucherlupe und Focus Peaking ist höchste Präzision kein Problem.
Selbstverständlich ist das Objektiv auch mit Autofokus ausgestattet, verfügt allerdings nicht über einen schnellen, leisen Ultraschall-AF-Antrieb. Vielmehr sorgt ein neu entwickelter eisenloser Gleichstrommotor sowohl im manuellen als auch im AF-Betrieb für präzises Fokussieren. Auch im AF-Modus kann man jederzeit manuell korrigierend eingreifen.
Lässt man den AF den gesamten Einstellbereich von Unendlich bis 1:1 durchfahren, ist das durchaus von vernehmlichen Geräuschen begleitet und dauert auch etwas länger als bei einem vergleichbaren, mit Ultraschall-Antrieb ausgestatteten Objektiv. Das dürfte aber eine in der Praxis eher selten entstehende Situation sein. Bei kürzeren Verstellwegen ist der AF zwar nicht rekordverdächtig schnell, findet dafür sein Ziel aber meist auf Anhieb – ohne weitere »Suchbewegungen«. Ausprobiert habe ich das sowohl an einer Canon EOS 5D Mk IV als auch an einer Panasonic Lumix DC-S1R. An der S1R habe ich das Objektiv mittels dem Canon Mount-Converter EF-L MC-21 von Sigma angeschlossen. In dieser Kombination verringert sich die AF-Geschwindigkeit geringfügig.
Fotografiert man in Abbildungsmaßstäben zwischen etwa 1:5 und 1:1, so empfiehlt es sich, die entsprechende Fokusbereichsbegrenzung am Objektiv zu wählen. Das beschleunigt den AF merklich und verhindert auch das unnötige Durchfahren des gesamten Einstellbereichs, wenn mal kein Ziel erkannt wurde. Da das Objektiv selbstverständlich mit dem Sigma-USB-Dock kompatibel ist, kann man mit dessen Hilfe den Fokusbereich eigenen Vorlieben entsprechend anpassen.
Kritisch für scheue Motive ist der mit rund fünf Zentimetern relativ geringe Abstand zur Objektiv-Vorderkante beim Abbildungsmaßstab von 1:1. Bei Aufnahmen von Insekten in morgendlicher Starre ist das meist noch kein Problem, Libellen oder Schmetterlinge ergreifen jedoch tagsüber wohl meist die Flucht, wenn man sich auf derart kurze Distanz nähert.
Bildqualität
Bei der optischen Konstruktion wurde ein beträchtlicher Aufwand betrieben. Asphären und reichlich Sondergläser sollen für eine weitgehende Minimierung von Abbildungsfehlern sorgen, und dass das gelungen ist, lässt sich in der Praxis zweifelsfrei erkennen. Das Objektiv liefert schon bei offener Blende eine derart hohe Abbildungsleistung, dass Abblenden – abgesehen von einer Verringerung der insgesamt minimalen Vignettierung – lediglich mehr Schärfentiefe bringt. Chromatische Aberration, also Farbsäume, die an Kanten oder auch in Lichtreflexen auftreten können, ist selbst bei kritischer Betrachtung nicht auszumachen. Verzeichnung spielt – bei dieser Brennweite nicht außergewöhnlich – auch keine Rolle. Scheint die Sonne direkt in die Frontlinse, kann es zu minimalen Überstrahlungen kommen, bunte Reflexe aber ließen sich nicht provozieren.
Die kleinste Blendenöffnung ist f/22. Blendet man so weit ab, wird bei hoch auflösenden Sensoren, wie dem der Testkamera Panasonic Lumix DC-S1R (47 Megapixel-Vollformat) Beugungsunschärfe erkennbar. Die dürfte allerdings nur bei Motiven mit extrem feinen Strukturen im Detail wirklich negativ zum Tragen kommen. Tatsächlich lässt sich bei der Reproduktion spezieller Testgrafiken ab f/11 bereits eine minimale Beugungsunschärfe ausmachen. In Lightroom muss man sich dazu allerdings schon auf 200 Prozent in das jeweilige Bild hineinzoomen. In der Praxis kann man das Sigma-Makro ohne Einschränkungen bis f/16 abblenden, wenn die entsprechende Schärfentiefe erforderlich ist.
Viel spannender fand ich allerdings, das Objektiv im Bereich zwischen f/2,8 bis f/5,6 einzusetzen. Da spielt es meines Erachtens seine größten Stärken aus – das großartige Bokeh, die schöne und klare Trennung zwischen scharf und unscharf sowie die sehr attraktiven Reflexbilder. Die Bilder erinnern zuweilen etwas an Aufnahmen, die mit so speziellen Objektiven wie dem Trioplan entstanden. Allerdings liefert das Sigma-Makro nicht nur malerisches Bokeh, sondern eben auch knackige Schärfe.
Fazit
Dem hohen Anspruch, den Sigma mit seinem »Art«-Makro weckt, wird das Objektiv gerecht. Solide Konstruktion, hohe Abbildungsleistung, nur minimale Bildfehler und großartiges Bokeh lassen es insbesondere für Aufnahmen statischer Motive wie Pflanzen und Pilzen geeignet erscheinen. Die relativ kurze Brennweite und der damit einhergehende geringe Aufnahmeabstand machen Aufnahmen von Insekten hingegen etwas schwierig.
Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de