Kluge Allianz
Es war zweifellos eine der großen Überraschungen der photokina 2018, als Leica, Panasonic und Sigma die Bildung der L-Mount-Alliance bekannt gaben. Basierend auf dem fortschrittlichen, mit der Leica SL im Jahr 2015 vorgestellten L-Bajonett, entwickeln die drei renommierten Hersteller nun untereinander kompatible Kameras, vorrangig mit Sensoren im Kleinbildformat, und entsprechende Objektive. Ein in mancherlei Hinsicht kluger Schachzug, der es dem Trio aufgrund der erwartbaren Synergien erleichtern könnte, in einem zunehmend umkämpften Markt langfristig zu bestehen.
Panasonic nutzte den Anlass damals direkt, um gleich zwei Vollformat-Kameramodelle anzukündigen, die bereits seit Frühjahr 2019 im Handel sind. Und – ein wichtiger Vorteil des Kooperationsprojekts – neben den ersten drei, zusammen mit den Kameras vorgestellten Objektiven standen direkt zusätzlich acht Leica-L- sowie zehn TL-Linsen (fürs APS-C-Format) zur Verfügung. Mittlerweile umfasst die Panasonic-Palette immerhin fünf Zooms sowie eine Festbrennweite, die insgesamt einen Bereich zwischen 16 und 200 mm abdecken. Hinzu kommen neben den erwähnten Leica L- und TL-Objektiven aktuell bereits 15 Zooms und Festbrennweiten von Sigma. Vom extremen 14 mm-Weitwinkel hoher Lichtstärke (Sigma) bis zum 90-280 mm-Zoom (Leica) reicht damit das Spektrum »echter« L-Mount-Optiken. Zudem besteht die Möglichkeit, mittels dem Adapter MC-21 Sigma-Objektive mit Canon-EF- bzw. Sigma SA-Anschluss zu verwenden und damit beim Umstieg von einem anderen System ältere Objektive weiter zu verwenden oder derzeit noch vorhandene Lücken – insbesondere bei den langen Brennweiten – zu schließen. Dies gilt allerdings mit der vor allem für Tierfotografen gravierenden Einschränkung, dass die adaptierten Objektive sich nur im AFS- und nicht im kontinuierlichen AFC-Modus betreiben lassen. Dazu später mehr.
Lumix S
Mit dem auf dem Micro FourThirds-Standard basierenden Lumix G-System gelang es Panasonic in den letzten Jahren, sich als bekannte Marke in der Fotobranche zu etablieren. Die gemachten Erfahrungen waren zweifellos wertvoll, als man die Entwicklung eines zweiten, auf Sensoren im Kleinbildformat basierenden Kamerasystems anging. Lumix S heißt dieses und zum Auftakt stellte Panasonic zwei äußerlich weitgehend identische Modelle vor, die sich im Wesentlichen durch die Auflösung des Sensors unterscheiden. Mittlerweile gibt es neben der Lumix S1 und der S1R mit der S1H sogar bereits ein drittes Modell, das sich dank umfangreicher Videofunktionen insbesondere an Filmer richtet. In diesem Beitrag gilt das Augenmerk allerdings ausschließlich der Lumix S1R. Es handelt sich dabei um das Modell, dessen Sensor mit rund 47 Megapixeln die aktuell höchste Auflösung der Lumix-S-Modelle bietet und sich damit besonders für die Verwendung in der Landschafts- und Makrofotografie anbietet, Themenbereiche also, in denen die hohe Auflösung sinnvoll erscheint, um feinste Details sichtbar zu machen.
Robustes Arbeitsgerät
Wer sich unter einer spiegellosen Systemkamera ein vergleichsweise kompaktes und leichtes Gerät vorstellt, wird sich wundern, wenn er die S1R zum ersten Mal in die Hand nimmt. Das solide Metallgehäuse ist umfassend gegen Staub und Feuchtigkeit abgedichtet, verträgt Stürze ebenso wie frostige Temperaturen und diese Robustheit macht sich im Volumen ebenso wie im Gewicht bemerkbar. Mit gut einem Kilogramm ist sie sogar noch ein paar Gramm schwerer als beispielsweise die Canon EOS 5D Mk IV, bei der immerhin noch ein Glasprisma und der Spiegelkasten zum stattlichen Gewicht beitragen. Dafür liegt die Kamera aber mit ihrem deutlich ausgeformten Handgriff in jeder Situation sehr gut in der Hand und die Bedienelemente sind so groß und griffig, dass sie sich auch mit größeren Händen gut erreichen und einstellen lassen. Der Großteil der haptisch unterscheidbaren Knöpfe und Tasten lässt sich individuell programmieren und das beschränkt sich nicht allein auf das Zuweisen einer Funktion. Vielmehr kann auch das Verhalten bei der Nutzung festgelegt werden. So ist es beispielsweise möglich, den ISO-Knopf auf der Oberseite so zu konfigurieren, dass man die Empfindlichkeit mittels Einstellrad wählt, während man den Knopf gedrückt hält oder nachdem man ihn gedrückt hat.
Wer ausgiebig von den Konfigurations-Optionen Gebrauch gemacht hat, wird sich über die Möglichkeit freuen, diese auf einer Speicherkarte sichern und so bei Bedarf schnell wieder herstellen zu können oder sie gegebenenfalls auf ein zweites S1R-Gehäuse zu übertragen. Die vielen manuellen Bedienelemente sorgen gleichzeitig dafür, dass man, ist die Kamera einmal konfiguriert, wohl nur noch selten auf das ebenfalls umfassend individuell konfigurierbare Q-Menü oder auf das »richtige« Menü zugreifen muss. Und selbst das lässt sich dank der einfach zu bedienenden »Mein Menü«-Option leicht eigenen Bedürfnissen anpassen.
Vor allem beim Arbeiten vom Stativ fand ich das Statusdisplay auf der Oberseite praktisch, über das man sich schnell einen Überblick der aktuellen Einstellungen verschaffen kann.
Die ganze Handhabung der Kamera macht den Eindruck, dass viel Know-how aus der Praxis in die Entwicklung des Bedienkonzepts eingeflossen ist. In dieser Hinsicht ist die Lumix S1R meines Erachtens eine der aktuell besten Kameras.
Sucher und Display
Mit einer Auflösung von 5,76 Mio. Bildpunkten ist das Sucherbild sehr brillant und detailreich. Auch bei schnellen Schwenks bleibt es ruhig und damit insgesamt sehr nah an dem Eindruck, den auch ein optischer Sucher vermittelt – aber eben mit den Vorteilen des elektronischen Suchers, der das Bild so zeigen kann, wie es dann auch nach der Aufnahme tatsächlich aussieht. Hinzu kommen die Möglichkeiten, ein Histogramm einzublenden oder beim manuellen Scharfstellen Hilfsfunktionen wie Focus Peaking oder eine digitale Sucherlupe nutzen zu können. Sehr hilfreich bei Aufnahmen aus der Hand ist die I.S.-Status-Anzeige, die ähnlich einer Wasserwaage anzeigt, wie intensiv der Bildstabilisator arbeiten muss. Man kann sich diese Anzeige auf die FN-Taste legen und so zur Kontrolle schnell aufrufen.
Das 3,2-Zoll-Touchdisplay ist ausreichend beweglich, um auch bei Hochformataufnahmen gut nutzbar zu sein. Es überzeugt mit seiner klaren und brillanten Darstellung. Die Touch-Funktion ist selbst bei nassen Händen nicht eingeschränkt.
Autofokus
Die von Panasonic entwickelte »Depth from Defocus«-Methode kombiniert den Kontrast-AF mit der Auswertung zweier unterschiedlich defokussierter Bilder und der für die unterschiedlichen Objektive hinterlegten Informationen. Daraus wird ermittelt, in welche Richtung zu fokussieren ist. Das von anderen Kontrast-AF-Systemen bekannte »Pumpen« wird so weitgehend, allerdings nicht immer ganz vermieden. Bei sich sehr schnell ändernden Situationen trat es zuweilen vorübergehend auf. Insgesamt aber reagierte der AF sowohl im Einzelbild- als auch im kontinuierlichen Modus sehr schnell und genau. Hilfreich bei Nachtaufnahmen: Erkennt der AF am nächtlichen Himmel Sterne, wird der Sternenlicht-AF aktiviert und ein entsprechendes Symbol für den Fokus-Modus eingeblendet. Bei helleren Sternen hat das gut funktioniert und erleichtert die kritische Fokussierung in solchen Situationen beträchtlich.
Bei Verwendung von Sigma-Objektiven, die über den MC-21-Adapter von Sigma angeschlossen wurden, erwies sich der Autofokus im AFS-Modus ebenfalls als zuverlässig und nur geringfügig langsamer als bei Original-L-Mount-Optiken. Auch die EXIF-Daten wurden korrekt übernommen. Canon-EF-Objektive ließen sich ebenfalls verwenden, allerdings ergaben sich in den EXIF-Daten dann oft kryptische Objektiv-Bezeichnungen, was in der Praxis aber kaum relevant sein dürfte. Landschafts- oder Makrofotografen, die den schnellen AFC nicht benötigen, könnten so also eine Lumix S relativ gut in eine bestehende Canon-DSLR-Ausrüstung integrieren.
Bildstabilisator
Der kamerainterne, auf Sensorshift basierende Bildstabilisator erreichte in der Praxis durchaus die vom Hersteller angegebenen 5,5 Zeitstufen Kompensation bzw. 6 Zeitstufen mit Objektiven mit eigenem Bildstabilisator. Mit dem neuen Lumix S Pro 70-200 mm F/2,8 I.S. sollen sogar bis zu sieben Zeitstufen möglich sein. Das eröffnet große Spielräume für flexibles Fotografieren ohne Stativ.
Wie z.B. Olympus nutzt Pansonic bei den Lumix S-Modellen den Sensorshift auch, um Aufnahmen mit enormer Auflösung zu erzeugen. Im Hochauflösungs-Modus schießt die Kamera in rascher Folge 8 Aufnahmen und verschiebt dazwischen jeweils den Sensor minimal. So entstehen Bilder mit 187 Megapixeln, die im direkten Vergleich nur etwas weicher wirken, als Bilder mit nativer Auflösung. Eine geringfügig angepasste Unscharfmaskierung in der Nachbearbeitung liefert dann überzeugende Ergebnisse, die zudem – aufgrund der mehrfachen Überlagerung – selbst bei höheren ISO-Einstellungen praktisch rauschfrei sind. Bewegungen im Bild lassen sich im Modus 2 begrenzt kompensieren. In Landschaftsaufnahmen hat sich – wenn etwa Wind Bäume und Gräser bewegt – bewährt, die Belichtungszeit (ggf. mit ND-Filter) auf 0,5 oder 1 sec zu verlängern. So ergeben sich natürlich wirkende Überlagerungen der bewegungsunscharfen Bildelemente. Die maximale Belichtungszeit beträgt im Hochauflösungsmodus leider nur 1 sec. Das schränkt die Verwendung in Dämmerungssituationen etwas ein. Allerdings kann man bei Bedarf eben auch eine höhere ISO-Einstellung wählen und dann von der erwähnten Rauschminderung durch Überlagerung profitieren.
Bildqualität
Bis ISO 3.200 ist das Bildrauschen äußerst gering und tritt bis ISO 6.400 nur etwas deutlicher in Erscheinung. Auch bei ISO 12.800 liefert der Sensor noch eine hohe Qualität mit sehr feinkörnigem, gleichmäßig verteiltem Rauschmuster. Erst darüber stört das Rauschen deutlicher und erzeugt in homogenen Flächen wolkige Strukturen. Die höchste Empfindlichkeit von ISO 51.200 ist meines Erachtens nicht mehr sinnvoll nutzbar. Der Dynamikumfang des Sensors erreicht nicht ganz das Niveau vergleichbarer Kameras, wie etwa der Nikon Z7, ist aber dennoch sehr groß und lässt sich zudem in kritischen Fällen durch den Hochauflösungsmodus effektiv steigern.
Fazit
Groß, schwer und enorm robust – Eigenschaften, die man eher mit einem Profi-DSLR-System in Verbindung bringt, treffen auch auf das spiegellose Lumix S-System zu. Die Kamera hält selbst widrigsten Bedingungen stand. Die beiden mir für den Test zur Verfügung stehenden Lumix S-Zooms tun das ebenfalls. Sowohl das Lumix S 4/70-200 mm als auch das Lumix S 4/24-105 mm sind vergleichsweise klobig, aber eben auch sehr solide und überzeugen mit exzellenter Abbildungsqualität, die der hohen Sensorauflösung der S1R gerecht wird. Das Bedienkonzept und die Funktionalität der Kamera überzeugen auf Anhieb. Sport und Action sind allerdings aufgrund der relativ geringen maximalen Bildfrequenz und dem etwas unter dem Niveau vergleichbarer Topmodelle von Sony, Nikon und Canon liegenden kontinuierlichen AF sowie der noch eingeschränkten Auswahl voll kompatibler langer Telebrennweiten nicht primäre Zielgruppe dieser Kamera. Vor allem Landschafts- und Makrofotografen aber, die eine solide, gut zu handhabende Kamera mit hoher Auflösung suchen, sollten die Lumix S1R in Betracht ziehen.
Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de