Schärfentiefe-Minimalist


Voigtländer 60 mm / 1:0,95 Nokton MFT

Mit dem neuen 60 mm / 1:0,95 Nokton MFT erweitert Voigtländer die Baureihe extrem lichtstarker Festbrennweiten für das MFT-System um ein leichtes Teleobjektiv. Nun stehen insgesamt fünf dieser Lichtriesen zur Verfügung, die ein kleinbildäquivalentes Spektrum von 21 bis 120 mm abdecken. Für Naturfotografen sehr interessant ist die auch beim 60 mm-Nokton sehr kurze Naheinstellgrenze, die interessante Gestaltungsoptionen bei kleinen Details eröffnet. Hans-Peter Schaub hat diese ausgelotet.

Lichtstärke bei Objektiven ist durch nichts zu ersetzen und entsprechend kann man durchaus postulieren, dass man davon kaum genug haben kann. Lichtstarke Optiken erlauben es einerseits, Aufnahmen unter schlechten Lichtbedingungen zu machen. Da aber selbst kleine Sensoren, wie die in den Micro FourThirds-Kameras von Olympus und Panasonic verwendeten, mittlerweile auch jenseits von ISO 1.600 erstaunlich gute Resultate liefern, spielt dieser Aspekt in Bezug auf Lichtstärke keine entscheidende Rolle mehr. Viel wichtiger ist für viele Fotografen die bei großen Blendenöffnungen geringe Schärfentiefe, die nicht nur in der Porträt- sondern auch in der Makro- und sogar in der Landschaftsfotografie ein bedeutendes Gestaltungsmittel sein kann. Unter diesem Gesichtspunkt haben die MFT-Kameras gegenüber Systemen mit Kleinbildsensoren einen klaren Nachteil. Selbst eine recht lichtstarke Optik, wie beispielsweise ein 1,8/75 mm, entspricht bezüglich der Bildwirkung doch »nur« einer 3,6/150 mm-Kleinbildbrennweite. Um den Bildern einen Look zu verleihen, der dem der Kleinbildaufnahmen entspricht, ist im Vergleich zu den Kleinbild-Pendants die doppelte Lichtstärke erforderlich. Da stoßen Konstrukteure – insbesondere bei langen Brennweiten – zuweilen sicher an die Grenzen des Möglichen. Im Weitwinkel- und gemäßigten Telebereich aber lassen sich solche Objektive realisieren. Voigtländer hat hier schon vor rund 10 Jahren mit dem 25 mm / f/0,95  Nokton MFT (siehe NaturFoto 8-2011 bzw. als PDF auf www.naturfoto-magazin.de) eine erste extrem lichtstarke Festbrennweite präsentiert. Es folgten weitere Noktone mit 17,5 bzw. 42,5 mm (NaturFoto 10-2014 bzw. PDF auf www.naturfoto-magazin.de) sowie 10,5 mm und nun das 60 mm / 1:0,95 Nokton MFT, um das es hier geht. Allen fünf Objektiven ist gemeinsam, dass sie rein manuell funktionieren, sowohl hinsichtlich der Fokussierung, als auch der Blendensteuerung. Kommunikation mit der Kamera, etwa zur Übermittlung von EXIF-Daten, findet nicht statt. 
Solch ein Objektiv wird vermutlich nur anschaffen, wer es dann auch möglichst häufig bei offener Blenden einsetzen will. Das kann in heller Umgebung schwierig werden, denn dann ist selbst bei niedriger ISO-Einstellung auch die kürzeste Belichtungszeit von meist 1/4.000 sec nicht ausreichend kurz, um Überbelichtungen zu vermeiden. Ein variabler ND-Filter stellt daher eine sinnvolle Ergänzung dar, um auch bei Sonnenschein die gestalterischen Optionen des Nokton uneingeschränkt nutzen zu können. 

In der Hand

Alle Objektive der Nokton-Baureihe sind mit einem Metallgehäuse ausgestattet und entsprechend bringt auch das 60 mm-Nokton mit 860 Gramm einiges Gewicht auf die Waage. Insbesondere in Kombination mit den ja oft eher zierlichen Lumix-G- oder Olympus OM-D- bzw. PEN-Modellen ergibt sich eine deutliche »Kopflastigkeit«. Die lässt sich etwas dämpfen, wenn man eines der größeren Modelle der jeweiligen Hersteller wie die Lumix GH9 oder die Olympus OM-D E-M1 Mark II jeweils mit einem Batteriehandgriff kombiniert. Allerdings kam ich im Test über mehrere Wochen durchaus gut ohne Handgriff klar und habe mich recht schnell an den soliden Klotz an der kleinen Lumix GH2 gewöhnt. 

Das Objektiv ist hervorragend verarbeitet. Der absolut spielfrei laufende Fokussierring ist griffig, erfordert jedoch schon etwas Kraft, um gedreht zu werden. Das ist allerdings durchaus sinnvoll, erhöht es doch die Präzision beim Fokussieren. Diese wird auch durch den langen Verstellweg von immerhin rund 300 Grad unterstützt. Mittlerweile bieten praktisch alle Kameras im MFT-System Fokussierhilfen wie Focus Peaking und elektronische Sucherlupe, so dass manuelles Scharfstellen genau und auch recht schnell von der Hand geht. Genauigkeit ist natürlich insbesondere bei offener Blende und der vor allem im Nahbereich dann ja wirklich minimalen Schärfentiefe entscheidend, um das gestalterische Potenzial der Optik auszureizen. Schon minimale Fehlfokussierungen ruinieren ansonsten solche Bilder.

Der Blendenring kann so eingestellt werden, dass er in halben Stufen satt einrastet oder aber eine stufen- und dann auch geräuschlose Anpassung der Blende gestattet, was insbesondere für Videoaufnahmen wünschenswert ist. »Selektives Blendenkontrollsystem« heißt das bei den Noktonen.

Nah ran

Das 60 mm-Nokton lässt sich ohne weiteres Zubehör als Makroobjektiv einsetzen und besonders im Nahbereich kann man dann die bei offener Blende minimale Schärfentiefe gestalterisch optimal einsetzen. Der maximale Abbildungsmaßstab von 1:4 erlaubt es, ein Motiv von etwa 6,8 cm Breite formatfüllend abzubilden. Größere Blüten, Schmetterlinge oder Libellen beispielsweise passen damit ohne Weiteres ins »Beuteschema« dieses Objektivs. Der Abstand zwischen Frontlinse und Motiv beträgt bei der Naheinstellgrenze gut 20 cm, was bei vorsichtigem Agieren selbst Bilder von scheuen Tierchen ermöglichen sollte.

Bildqualität

Schon bei offener Blende liefert das Nokton scharfe Bilder. Nur zu den äußersten Ecken hin fällt die Schärfe etwas ab. Bereits Abblenden um gut eine Stufe auf f/1,4 aber behebt diesen Mangel ebenso wie die bei offener Blende sichtbare Vignettierung. Sowohl der Schärfeabfall zu den Rändern als auch die Vignettierung spielen aber im Grunde bei Aufnahmen mit offener Blende keine maßgebliche Rolle für die Bildwirkung. Am anderen Ende der Blendenskala findet man ab f/8 eine leichte Beeinträchtigung der Schärfe durch Beugungseffekte. Wirklich praxisrelevant aber wird die erst bei f/16. Dann erscheinen die Bilder sichtbar weich, weshalb ich nicht empfehlen würde, das Objektiv so stark abzublenden. Gänzlich unauffällig ist im Übrigen auch die chromatische Aberration. 

Fazit

Haptik und Optik des 60 mm-Noktons überzeugen. Wer sich nicht scheut, manuell zu fokussieren und auch an kleinen Kameras schwere Objektive einzusetzen, kann viel Spaß mit dieser Linse haben. Für Naturfotografen besonders interessant sind sicher die Möglichkeiten im Nahbereich, aber auch in der Landschaftsfotografie, in der gemeinhin ja meist auf größtmögliche Schärfentiefe gesetzt wird, bieten solche Lichtriesen Möglichkeiten, gestalterisch andere Wege zu gehen, als die breite Masse das tut. 

Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de

Voigtländer 60 mm / 1:0,95 Nokton MFT 
Aufbau: 11 Elemente/8 Gruppen Blendenbereich: 0,95 – 16   Anzahl Blendenlamellen: 10  Bildwinkel (diag.): ca. 21,5°  
Naheinstellgrenze: ca. 34 cm 
Min. Abstand (Filtergewinde/Motiv): ca. 20,5 cm  
Max. Abbildungsmaßstab: ca. 1:4 
Filtergewinde: 77 mm  
Fokussierung: nur manuell 
Weitere Merkmale: Tubus komplett aus Metall gefertigt, selektives Blendenkontrollsystem (Blendenring rastet entweder in halben Stufen ein oder lässt sich stufenlos und lautlos verstellen), Streulichtblende aus Metall im Lieferumfang 
Anschluss: Micro FourThirds (MFT)
Abmessungen (mm): ca. 82,5 (D) x 57,7 (L)
Gewicht: rund 860 Gramm 
Straßenpreis: ca. 1.250 € 

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