Neben dem aktuellen Trend zu immer kompromissloser auf Qualität getrimmten, damit auch zunehmend schwerer und voluminöser werdenden Objektiven, gibt es seit Jahren schon eine wachsende Gegenbewegung. Experimentierfreudige Fotografen verwenden auf der Suche nach dem besonderen, unverwechselbaren Look teils uralte Objektive an ihren hochmodernen Digitalkameras. Besonders unter Makrofotografen erfreut sich in dem Zusammenhang das Trioplan 100 von Meyer-Optik Görlitz großer Beliebtheit. Das führte bei diesem noch bis ins Jahr 1963 hergestellten Objektiv zu teilweise absurden Gebrauchtmarktpreisen. Auch andere alte Meyer-Optik-Objektive waren und sind begehrt und entsprechend teuer.
Da lag es nahe, den Markt mit Objektiven zu bedienen, die auf den historischen Rechnungen beruhen, dank moderner Technologien, Materialien und Fertigungsverfahren aber den alten Look mit einem insgesamt besseren Objektiv erlauben. Ein erster Versuch der Firma net SE mit der Traditionsmarke Meyer-Optik Görlitz mündete nach wenigen Jahren in eine Insolvenz. Seit der 2018 erfolgten Übernahme durch OPC Optical Precison Components Europe GmbH mit Sitz in Bad Kreuznach aber ist Meyer-Optik auf einem guten Weg. Auf Ankündigungen folgen tatsächlich auch echte Produkte und die – soviel sei vorweg schon gesagt – werden dem hohen Anspruch auch gerecht.
Die hochwertigen Komponenten aus heimischer Produktion werden in Handarbeit zusammengefügt und natürlich hat dieses »Made in Germany« auch seinen Preis. Angesichts der teils horrenden Preise für die alten Versionen in mitunter fragwürdigem Zustand wird sich dennoch so mancher Fotograf fragen, ob es da nicht sinnvoller ist, einen modernisierten, neuen Klassiker (mit Garantie und Service) anzuschaffen.
Doch damit genug der Vorrede. Befassen wir uns nun mit den Objektiven selbst. Für einen intensiven Praxistest hat mir das Unternehmen drei der aktuell fünf erhältlichen Optiken zur Verfügung gestellt. Mit dem Lydith 30 f/3,5 II, dem Primoplan 75 f/1,9 II und dem Trioplan 100 f/2,8 II konnte ich einen recht breiten Bereich vom gemäßigten Weitwinkel bis zum leichten Tele abdecken. Die kleine Ausrüstung wurde noch durch einen Satz Zwischenringe ergänzt. Fotografiert habe ich mit einer Canon EOS 90D und einer EOS R5, zwei Kameras mit ziemlich hochauflösenden Sensoren also.
In der Hand
Bei den Nachbauten der Klassiker werden teilweise andere Glassorten als in den Originalen verwendet, zudem sind die Gläser mit modernen Vergütungen versehen und auch hinsichtlich der Mechanik wurden Modifikationen vorgenommen. All das ist unterm Strich sicher eher vorteilhaft und die jeweils typische Abbildungscharakteristik konnte in allen Fällen dennoch beibehalten werden.
Trotz der unterschiedlichen Brennweiten und den – wie wir noch sehen werden – auch sehr verschiedenen Abbildungscharakteristiken, haben die drei Objektive auch einiges gemeinsam. So sind sie mit einem sehr soliden, präzise gefertigten Metallgehäuse ausgestattet und dennoch recht klein und leicht. Sie verfügen über einen sanft gedämpften Fokussierring mit reichlich langem Verstellweg (ca. 270° beim Lydith 30 und Primoplan 75, ca. 360° beim Trioplan 100), der präzises Fokussieren erlaubt. Der Blendenring ist ebenfalls gedämpft und läuft mit ausreichend hohem Widerstand stufenlos, also ohne bei halben oder Drittelstufen einzurasten. Das lässt sich auch nicht, wie bei manchen Objektiven anderer Hersteller, umstellen. Einige Fotografen bedauern das, denn um zu erfahren, welche Blende genau eingestellt wurde, muss man notgedrungen die Kamera vom Auge nehmen. Videofilmer hingegen begrüßen die stufenlose Einstellung. Ich fand das auch beim Fotografieren nicht störend, denn ich habe die Blende immer nach Anmutung im Sucher angepasst und festgestellt, dass sich die Bildwirkung oft schon durch eine minimale Veränderung der Blende variieren lässt und da hätte mich eine fest eingestellte Rastung eher gestört. Die Blende ist beim Lydith 30 aus 10, beim Primoplan 75 und beim Trioplan 100 sogar aus 15 Lamellen aufgebaut. Das sorgt beim Schließen zwar nicht für eine kreisrunde, sondern bei kleineren Werten ab etwa f/8 für eher an Kronkorken erinnernde Lichtreflexe, aber auch das lässt sich für interessante Bildeffekte nutzen. Die mattschwarze Eloxierung der Objektive ist äußerst widerstandsfähig und sorgt dafür, dass sie auch nach einigen Monaten intensiver Benutzung noch wie neu erscheinen. Selbstverständlich sind sowohl Blenden- als auch Schärfentiefen- und Entfernungsskala eingraviert und dank der weißen Farbe der Ziffern auch bei schlechten Lichtverhältnissen gut ablesbar.
Das Lydith 30 f/3,5 II
Dieses sehr kompakte Weitwinkelobjektiv liefert im zentralen Bereich schon bei offener Blende eine gute Schärfe, die aber zu den Rändern deutlich nachlässt. Auch die Vignettierung ist deutlich ausgeprägt. Ebenfalls vor allem in den Randbereichen sichtbar ist eine chromatische Aberration, die recht schwer zu korrigieren ist. Weder der Schärfeabfall noch die Vignettierung lassen sich durch Abblenden gänzlich beseitigen und tatsächlich ist das auch gar nicht wünschenswert. Es sind genau diese »Fehler«, die zum charakteristischen Look, der sich mit dem Lydith erzielen lässt, beitragen. Typische »Lydith-Aufnahmen« profitieren von einem weichen Übergang von Randunschärfe und Vignettierung zum Bokeh der Hinter- beziehungsweise Vordergrundunschärfe. Richtig entfalten kann sich der Effekt somit eigentlich auch nur, wenn man nicht zu stark abblendet. Ich habe das Objektiv daher meist bei offener oder allenfalls moderat auf f/5,6 abgeblendet eingesetzt. Bei f/16 freilich sind die Randfehler schon so weit minimiert, dass auch einigermaßen »normale« Landschaftsfotos möglich sind. Interessant ist die kurze Naheinstellgrenze von rund 14 cm ab Frontlinse, die bereits interessante Detailaufnahmen erlaubt. In Kombination mit einem dünnen Zwischenring (ca. 12 bis 20 mm) wird das Lydith zu einem ungewöhnlichen Weitwinkelmakro und gerade im Nahbereich kommt das bei offener Blende sehr schöne, weiche Bokeh gut zur Geltung. Interessant ist auch ein besonderer Gegenlichteffekt. Fällt das Licht seitlich von vorne ins Objektiv, ergibt sich ein sehr buntes Regenbogenmuster. Das lässt sich allerdings ganz leicht unterbinden, indem man die Frontlinse mit der Hand abschattet. Alternativ würde eine Streulichtblende diese Funktion erfüllen, die ist allerdings nicht im Lieferumfang enthalten. Aufgrund der Abbildungscharakteristik, die eben unter anderem auf der Randunschärfe und Vignettierung basiert, ergibt die Verwendung an Kameras mit kleineren Sensoren (APS-C / FourThirds) keinen rechten Sinn. An solchen Kameras ist das Lydith einfach nur eine relativ konventionelle und ordentlich scharfe Normalbrennweite. An Vollformatkameras hingegen ist das Objektiv eine attraktive Option für etwas andere Bilder mit großem Bildwinkel – sowohl in der Landschaft, vor allem aber im Nahbereich.
Das Primopan 75 f/1,9 II
Wie auch die anderen Meyer-Optik-Objektive ist das Primoplan 75 ein echter kleiner Handschmeichler. Mit seiner recht hohen Lichtstärke ist das leichte Teleobjektiv natürlich prädestiniert für Porträts. Aber auch in der Naturfotografie kann man es sich gut einsetzen. Ohne Zwischenringe erreicht man bei einem Abstand zwischen Motiv und Frontlinse von gut 70 cm ungefähr einen Abbildungsmaßstab von 1:5,6. Richtig interessant wird es, finde ich zumindest, wenn man das Objektiv mit einem 20- oder 30 mm-Zwischenring kombiniert.
Bei offener Blende ergibt sich ein sehr weiches und harmonisches Bokeh. Wenn relativ helle Reflexe und Spitzlichter in der Unschärfe liegen, zeigt das Primoplan, dass es, wie das dafür so berühmte Trioplan auch »Seifenblasen« machen kann. Insgesamt aber ist dieser Effekt deutlich weniger stark ausgeprägt und nicht so aufdringlich wie zuweilen beim Trioplan. Mir gefällt das sehr gut. Bei offener Blende ist die Vignettierung deutlich und die Schärfe zwar gut, aber vor allem bei starkem Licht zeigen sich zarte Lichtsäume um helle Motive. Schließt man die Blende weiter, wird die Schärfe exzellent und auch die Brillanz ist dann gut. Von weich und träumerisch bis brillant und scharf hat man so mit diesem Objektiv viele Gestaltungsoptionen. Auch die sich durch die 15 Lamellen ergebende Form der Blende eröffnet in Gegenlichtsituationen mit ausgeprägten Lichtreflexen interessante Alternativen zum so beliebten harmonischen, von kreisrunden Reflexen geprägten Bokeh.
Das Trioplan 100 f/2,8 II
Das Trioplan 100 ist zweifellos immer noch das bekannteste Objektiv aus dem Meyer-Optik-Portfolio. Bei offener Blende zeichnet es noch deutlich weicher als das Primoplan 75 und zum Beispiel Landschaftsaufnahmen im Gegenlicht erscheinen bei offener Blende, als hätte man aufs Objektiv gehaucht. So richtig scharf ist da nix. Das macht bei Spiegellosen das Fokussieren mithilfe des Fokus Peaking übrigens zum Lotteriespiel. Auch mit der Spiegelreflex ist das Finden der optimalen Schärfeeinstellung da nicht ganz trivial. Natürlich ist das »Seifenblasen-Bokeh« für viele das wichtigste Argument für dieses bemerkenswerte Objektiv, und in dieser Hinsicht enttäuscht es nicht. Bei Spitzlichtern und Reflexen in der Unschärfe lassen sich die Seifenblasen recht leicht provozieren. Auch bei diffusem Licht oder hellem aber nicht von deutlichen Reflexen geprägtem Hintergrund ergibt sich bei offener Blende ein von sich überlagernden Kringeln geprägtes, ein wenig »aufgeregtes« Bokeh. Schließt man die Blende allerdings minimal, lässt sich das auch wieder ändern. Die Bilder erscheinen dann ruhiger, harmonischer. Schön ist, dass man den Effekt gut und feinfühlig über die Blende steuern kann. Auch ein gutes Argument für die stufenlose Blendeneinstellung. Wie beim Primoplan 75 erhält man auch beim Trioplan 100 beim Schließen der Blende die Reflexe in »Kronkorken«-Form und auch das kann ein interessantes Gestaltungsmittel sein. Positiv überrascht war ich von der wirklich knackigen Schärfe, die das Objektiv liefert, sobald man die Blende etwas weiter schließt – auf Werte von f/5,6 bis f/8 –, auch in Verbindung mit Zwischenringen im Makrobereich. Gut gefallen hat mir auch die geringe Neigung zu farbigen Reflexen in Gegenlichtsituationen, die den Bildeindruck meist auch sehr stören würden. Die Naheinstellgrenze ist mit rund 104 cm ab Frontlinse ziemlich weit. Naturfotografen, die das Objektiv wohl häufig als ein etwas anderes Makroobjektiv verwenden werden, kommen daher nicht um die Verwendung von Zwischenringen herum.
Fazit
Natürlich sind Meyer-Optik-Objektive für rund 900 bis 1.000 Euro keine Schnäppchen. Vergleicht man die Preise aber mit denen, die für gebrauchte Urahnen dieser Linsen aufgerufen werden, relativiert sich das durchaus. Alle drei getesteten Objektive sind hervorragend verarbeitet und liefern optisch genau das, was man von ihnen erwarten darf. Kombiniert mit Zwischenringen,1 erhält man Makroobjektive, die zum kreativen Spiel mit Bokeh, Unschärfe und Licht einladen. Vielleicht habe ich mich am ausgeprägten Trioplan-Look schon sattgesehen, denn mir persönlich hat das Primoplan 75 besonders gut gefallen. Es erlaubt bei Bedarf und passendem Licht schöne Seifenblasen, liefert aber insgesamt ruhigere, harmonischere Bilder als das Trioplan und ist um gut eine Blende lichtstärker. Gerade weil Objektive der großen Hersteller mittlerweile einen beeindruckenden Grad an Perfektion erreicht haben, ist Schärfe allein kein wirklich aussagefähiges Kriterium für die Qualität eines Bildes. Wer Fotografie als künstlerisches Medium begreift wird daher immer nach Wegen suchen, Bilder zu machen, die sich unterscheiden und da sind Objektive, die objektiv betrachtet nicht wirklich perfekt sind, eben ein Werkzeug, um eine eigene Ästhetik zu entwickeln. Allerdings genügt es nicht, ein Lydith, Primoplan oder Trioplan an der Kamera zu montieren. Man muss sich doch schon recht intensiv mit diesen Objektiven auseinandersetzen, vieles ausprobieren, um ihr kreatives Potenzial zu heben. Reizvoll ist das allemal und jede Tour mit diesen Linsen liefert zuverlässig das eine oder andere überraschende, so nicht erwartete Ergebnis.
Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de