Makrofotografie allgemein ermöglicht vielfältige Entdeckungen, ohne dazu weite Reisen unternehmen zu müssen. Das Verblüffungspotenzial aber steigt noch einmal gehörig an, wenn wir uns mit speziellem Zubehör den ganz kleinen Dingen widmen, Dingen, die mit bloßem Auge kaum mehr wahrnehmbar sind. Dann lässt sich in einer einzelnen Blüte eine ganze Welt entdecken, ein Moospolster wird zum Urwald und ein Becher Tümpelwasser offenbart Organismen, die durchaus der schrägen Fantasie eines Science Fiction-Autors entsprungen sein könnten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um Abbildungsmaßstäbe von deutlich über 1:1 zu erreichen. Eine besonders elegante Option sind so genannte Lupenobjektive, die die Brücke zwischen der Makro- und Mikrofotografie schlagen. Das Zhongyi 85 mm F2.8 Apo 1-5X Super Macro des chinesischen Herstellers Shenyang Zhongyi Optical & Electronic ist ein solches Lupenobjektiv, welches Abbildungsmaßstäbe zwischen 1:1 und 5:1 ermöglicht.
In der Hand
Das Zhongyi Super Macro ist komplett aus Glas und Metall konstruiert, wirkt entsprechend sehr solide und ist mit gut 800 Gramm (inklusive Stativschelle) erwartungsgemäß kein Leichtgewicht. Die Stativschelle ist abnehmbar und mit einem Arca Swiss-kompatiblen Fuß ausgestattet. Dank dem 58 mm-Filtergewinde kann problemlos ein Ringblitz montiert werden. Alternativ kann man aber auch das mitgelieferte LED-Ringlicht einschrauben. Der vorne, kurz hinter der Frontlinse befindliche Blendenring rastet sauber in vollen Stufen ein. Der Fokussierring läuft für meinen Geschmack ein wenig schwergängig und zudem ist der Verstellweg mit rund 90 Grad ein wenig knapp bemessen. In der Praxis wird man das Objektiv allerdings sinnvollerweise mit einem Makroschlitten kombinieren und hat dann über diesen die Möglichkeit, die kleinen Motive präzise zu fokussieren.
Das rein manuell zu fokussierende Objektiv ermöglicht keinerlei Kommunikation mit der Kamera. So wird neben dem Abbildungsmaßstab auch die Blende manuell eingestellt und man muss daher auch auf den Luxus der automatischen Springblende verzichten, die bei »normalen« Objektiven das Sucherbild stets bei offener Blende und damit maximal hell zeigt. Da allerdings ein allzu starkes Abblenden aufgrund dann auftretender Beugungsunschärfe besonders bei großen Abbildungsmaßstäben nicht ratsam ist, spielt das kaum eine Rolle. Entscheidender ist die sehr geringe effektive Lichtstärke. Die liegt nämlich nicht, wie die Typenbezeichnung vermuten lässt, bei f/2,8, sondern lediglich bei f/8. Vergleicht man das Zhongyi-Makro beim Abbildungsmaßstab von 1:1 mit einem konventionellen, bezüglich der technischen Daten sehr ähnlichen Tamron 2,8/90 mm-Makroobjektiv, erlaubt das Tamron-Makro also eine um drei Blendenstufen kürzere Belichtungszeit bei gleicher Blendeneinstellung. Dass die nahezu gleiche Brennweite keine Rückschlüsse auf die optische Konstruktion zulässt, zeigt sich darüber hinaus im Hinblick auf den Arbeitsabstand zwischen Frontlinse und Motiv. Der beträgt bei 1:1 bei der Zhongyi-Optik rund 27 cm, beim Tamron 90er sind es hingegen lediglich 14 cm. Selbst beim maximalen Abbildungsmaßstab von 5:1 liegen zwischen Frontlinse und Motiv immer noch 9,3 Zentimeter. Das eröffnet Möglichkeiten in der Lichtführung mit Makroblitzgeräten, die vergleichbare Objektive wie das Canon MP-E 2,8/65 mm nicht bieten. Bei diesem ist der Abstand zum Motiv nur etwa halb so groß.
Das Zhongyi-Super Macro-Objektiv ist solide verarbeitet und wird mit einer abnehmbaren, Arca Swiss-kompatiblen Stativschelle ausgeliefert. Ebenfalls im Lieferumfang ist ein recht helles LED-Ringlicht, das z.B. über eine Powerbank mit Strom versorgt werden kann (Micro-USB). Angesichts der sehr geringen effektiven Lichtstärke, die selbst bei offener Blende f/2,8 tatsächlich eher f/8 entspricht, ist diese Beleuchtung insbesondere bei Verwendung an DSLRs sinnvoll, um die Motive im Sucher einigermaßen gut erkennen zu können. Ein Ringblitz mit Einstelllicht ist daher eine sinnvolle Ergänzung zu diesem Objektiv.
Eigentlich ein Zoom
Eine weitere interessante Eigenschaft dieses und vergleichbarer Objektive ist die variable Brennweite. Die ändert sich mit dem eingestellten Abbildungsmaßstab. 85 Millimeter sind es nur bei 1:1. Beim Maßstab von 5:1 beträgt die Brennweite dann lediglich 25 Millimeter. Das dürfte unter anderem eine Ursache dafür sein, dass sich die effektive Lichtstärke nicht linear mit dem Abbildungsmaßstab verändert. Eigentlich wäre bei einer Vergrößerung des Abbildungsmaßstabes von 1:1 auf 5:1 eine Verlängerung der Belichtungszeit um gut drei Blendenstufen zu erwarten. Tatsächlich aber verlängert sie sich nur um zwei Blendenstufen, was in der Praxis schon relevant ist. So verkürzt sich aufgrund des geringeren Lichtbedarfs zum Beispiel die Regenerationszeit des Blitzes oder man kann mit einer niedrigeren ISO-Einstellung bzw. halbierten Belichtungszeit arbeiten.
Abbildungsleistung
Die ersten Exemplare, die nach der Vorstellung ausgeliefert wurden, hatten offensichtlich gravierende Schwächen in der Abbildungsleistung. Daher wurde der Vertrieb für einige Zeit ausgesetzt. Bei der optimierten Version wurde dann neben optischen Korrekturen unter anderem auch die kleinste mögliche Blende von f/32 auf f/22 reduziert. Das ergibt Sinn, denn nutzen lassen sich die kleinen Blenden aufgrund der massiven Beugungsunschärfe ohnehin nicht.
Bei der aktuellen Version wurden Bildfehler wie chromatische Aberration, Vignettierung, Verzeichnung oder Schärfeabfall zu den Rändern nahezu restlos korrigiert oder sind so gering ausgeprägt, dass sie in der Praxis keine Rolle spielen. Das gilt für alle Abbildungsmaßstäbe. Bereits die offene Blende lässt sich durchaus nutzen, wenngleich die Bilder dann noch leicht flau erscheinen, was sich aber durch eine entsprechende Bearbeitung leicht beheben lässt. Abblenden auf f/4 bringt dann eine sichtbare Verbesserung der Schärfeleistung und auch des Kontrasts. Beim Abbildungsmaßstab 1:1 liefert das Objektiv zwischen f/4 und f/8 sehr gute Resultate. Bis f/11 sind die Bilder noch ausreichend scharf, weiteres Abblenden ist nicht empfehlenswert. Bis zum maximalen Abbildungsmaßstab von 5:1 verschiebt sich das Qualitätsmaximum sukzessive zu den größeren Blendenöffnungen. Ein Abblenden über f/8 ist dann nicht mehr ratsam. Das Optimum der Schärfeleistung liegt bei f/4. Auf die kleinen Blenden f/16 und f/22 kann man daher getrost verzichten, umso mehr, als diese dann aufgrund der um drei Blendenstufen geringeren effektiven Lichtstärke kaum noch praxistauglich sind – f/22 entspricht dann ungefähr f/64 mit unvermeidlichen Konsequenzen für den Lichtbedarf. Kritisch ist das Verhalten des Objektivs in Gegenlichtsituationen mit vielen Spitzlichtern und Lichtreflexen. Helle Reflexe erscheinen oft in Regenbogenfarben. Spitzlichter überstrahlen und fressen aus. Das kann bei manchen Bildern ganz gut aussehen, meist aber dürfte das eher stören. Diffuses Licht – egal ob Blitz oder natürlich – ist daher in der Regel wünschenswert, möchte man seine kleinen Motive mit diesem Objektiv ansprechend in Szene setzen. In nicht zu kontrastreichen Situationen ergibt sich bei offener Blende und auch um ein bis zwei Stufen abgeblendet in allen Abbildungsmaßstäben ein angenehm weiches Bokeh. Motive heben sich bei der zwangsläufig äußerst geringen Schärfentiefe (bei 5:1 und f/5,6 liegt sie deutlich unter einem Zehntel Millimeter) klar vor einem unscharfen Hintergrund ab.
Praxiserfahrungen
Wer bislang mit konventionellen Makroobjektiven auf Motivjagd ging und immer mal wieder mit deren Begrenzung des Abbildungsmaßstabs gehadert hat, kann mit dem Zhongyi-Lupenobjektiv diese Grenze weit hinter sich lassen. Der erstaunlich große Arbeitsabstand, den das Objektiv gestattet, kann dabei Fluch und Segen sein. Zum einen ist es hilfreich, um problemlos einen Ring- oder Makroblitz einsetzen zu können, zum anderen bleibt man bei vielen kleinen Tierchen so noch außerhalb der Fluchtdistanz. Den Fluch mag mancher empfinden, wenn man aus 10 oder 15 Zentimetern Entfernung versucht, ein nur wenige Millimeter großes Insekt anzuvisieren. Besonders schwer wird das mit einer Spiegelreflexkamera und dem dann zwangsläufig sehr dunklen Sucherbild. Hier hilft das mitgelieferte Ringlicht oder ein Einstelllicht am Makroblitz. Besser funktioniert das mit spiegellosen Systemkameras und deren elektronischem Sucher. Der liefert, wenn man die Belichtungssimulation ausschaltet, ein deutlich helleres Bild und bietet zudem mit seiner Focus Peaking- sowie der Lupenfunktion zusätzliche Hilfestellung beim präzisen Fokussieren. Dem kommt selbstverständlich angesichts der erwähnten minimalen Schärfentiefe höchste Bedeutung zu.
Wie bereits im Abschnitt über die Abbildungsleistung bemerkt, stellt starkes Abblenden keine sinnvolle Option dar, um die Schärfentiefe zu erhöhen und so gegebenenfalls auch leichte Fokussierfehler zu kompensieren. Vielmehr gilt es durch eine optimale Ausrichtung der Kamera zum Motiv die geringe Schärfentiefe so im Bild zu verteilen, dass ein ausreichender Schärfeeindruck entsteht. Dass das durchaus gelingen kann, habe ich versucht mit den Bildbeispielen auf diesen Seiten zu vermitteln.
Motivideen
Der sich dem Ende zuneigende Winter knausert ein wenig mit Makromotiven. Aber da man sich mit dem Objektiv auch an sehr kleine Dinge heranmachen kann, findet man eigentlich überall Fotogenes. Das können Moose, Flechten oder Mikrostrukturen von Baumrinden und Steinen sein, die faszinierende Bilder offenbaren können. Bei solchen statischen Motiven empfiehlt es sich, die Kamera mit dem Objektiv auf einem Makroschlitten zu montieren. So lässt sich der Ausschnitt und die Lage der Schärfenebene optimal einstellen und bei den genannten, nichtflüchtigen Beispielen kann man dann sehr gut mit natürlichem Licht oder auch mit einer Taschenlampe zur Aufhellung arbeiten.
Sehr spannend ist es auch jetzt, ein, zwei größere Becher aus einem Teich zu schöpfen und in einem kleinen Fotoaquarium zu beobachten. Wasserflöhe, Eintagsfliegen- und Mückenlarven, Würmer, Egel, Wasserasseln – es ist erstaunlich, was sich da so alles tummeln kann. Und für diese oft weniger als einen Zentimeter großen Wesen ist ein Lupenobjektiv genau richtig. Die Ausleuchtung erfolgt dann mit einem Blitz. Ich habe so an mehreren Tagen immer wieder neue Mini-Monster entdeckt und die kleine Lebensgemeinschaft dann anschließend, nach Temperaturakklimatisierung, wieder in den Gartenteich entlassen.
Fazit
Vergleicht man die Abbildungsleistung beim Maßstab 1:1 mit der eines normalen Makroobjektiv, schneidet das Lupenobjektiv schlechter ab. Es erreicht weder die Brillanz noch das Auflösungsvermögen aktueller Makros. Dafür fängt aber eben auch der Spaß erst an, wo die anderen die Segel streichen müssen. Die Beispielbilder geben eine Idee, was mit solch einem Objektiv möglich ist – zu jeder Jahreszeit. Wer nur gelegentlich in diese extremen Abbildungsmaßstäbe vordringen möchte, kann sich mit Zwischen- und Umkehrringen behelfen oder natürlich auch ein deutlich sperrigeres Balgengerät einsetzen. Wer aber einmal Gefallen gefunden hat an dieser Art von Fotografie, sollte solch ein Lupenobjektiv in Betracht ziehen. Aktuell gibt es mit dem erwähnten MP-E 65 mm f/2,8 1-5x Macro Photo von Canon (ca. 970 €) und dem Laowa 25 mm 2.8 Ultra Macro 2.5-5x (siehe NaturFoto 7-2019) zwei vergleichbare Alternativen, wobei das Canon-Objektiv natürlich nur mit EF-Anschluss verfügbar und erheblich teurer ist. Das Laowa bewegt sich preislich mit rund 500 € in etwa auf dem Niveau des Zhongyi. Es liefert im Vergleich die etwas bessere Abbildungsleistung, weist allerdings mit lediglich vier Zentimetern bei 5:1 einen deutlich kürzeren Arbeitsabstand auf, was die Lichtführung erschwert. Zudem hat es kein Filtergewinde, was den Einsatz von Ringblitzen unmöglich macht. So gilt es vor einer Kaufentscheidung vor allem abzuwägen, wie man seine Motive bevorzugt ausleuchten möchte.
Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de